Von Tröpflern und Trottln

Kolumne Jürgen Preusser: Checkliste für verhaltensauffällige MItsegler

Von Tröpflern und Trottln

Das Sägewerk. Schlagende Fallen, singende Wanten, brummende Generatoren, besoffene Nachbar-Crews – harmlos. Es gibt Menschen, die übertönen alles. Nicht selten sind die Schnarcher sogar in der Überzahl. Gegenmaßnahme: Niemals nach diesen schlafen gehen! Selber schnarcht man ja bekanntlich nicht. Und tut man es doch, so raubt man den potenziellen Superschnarchern den Schlaf und verhindert, dass sie das Schiff in Stücke sägen.
Der Tröpfler (© Willi Dibl). Es gibt Menschen, deren gesamte Transpiration über die Füße an die Öffentlichkeit tritt. Das Teuflische daran ist, dass sie selbst meist nicht bemerken, welch auffällige Fährten sie in Kabine, Salon oder in schwerwiegenden Fällen auch im Cockpit legen. Gegenmaßnahmen: An der Reling mittels Kluppen befestigte Socken in einem unbeobachteten Moment über Bord gehen lassen. Eine lässliche Umweltsünde. Verdächtige Schuhe in Plastiksackerln stecken, luftdicht verschließen und dort verstauen, wo nur der Skipper Zugriff hat. Am Ende des Törns können die Schuhe ja rein zufällig wieder auftauchen. Sollte es sich um das einzige Paar Schuhe der betroffenen Person handeln, sollte man darauf bestehen, dass die Schuhe aus Sicherheitsgründen immer getragen werden müssen. (Das Argument, warum sie auch des Nachts nicht ausgezogen werden dürfen, bitte selber einfallen lassen.)
Der Dauerschwätzer. Die ungewohnte Situation mit anderen auf engstem Raum und ohne festen Boden unter den Füßen leben zu müssen, macht manche Menschen nervös. Diese Nervosität bekämpfen einige Mitsegler, indem sie im Minutentakt langweilige, pointenfreie Geschichten erzählen. Die Gegenmaßnahmen sind klassischer Natur: Knoten üben und Leinen aufschießen lassen, ans Steuer stellen und aus Konzentrationsgründen Sprechverbot erteilen. Das Kommando „Red‘ bitte nur, wenn das Echolot weniger als fünf Meter Tiefe anzeigt“ funktioniert bei durchschnittlich intelligenten Crew-Mitgliedern leider nur in Küstennähe.
Die Zimtzicke. Ein Kosmetikkoffer, der einen kompletten Nassraum lahm legt. Sonnencreme-Einschmier-Orgien fünf Mal am Tag. Laufsteg-Outfit statt Segel-Kleidung. Sätze wie: „Kannst du das Boot nicht weniger schräg steuern?“ oder „Gibt’s in der Bucht warme Duschen?“ oder „Mir sind diese ganzen Bänder da ständig im Weg!“. Gegenmaßnahme: Crewwechsel.
The Early Bird. Segeln soll ja angeblich auch Erholung sein. Für diesen Typ besteht die Erholung darin, vor allen anderen wach zu sein, Kaffee zu kochen, Frühstücksgeschirr auf den Tisch zu stellen, jeden Handgriff zu kommentieren und jede Tätigkeit mit einem keineswegs tonlos geflüsterten „Soda!“ abzuschließen. Gegenmaßnahme: Den potenziellen Frühstücksaktivisten schon am Vorabend zum Brotholen einteilen. Falls mehrere Bäcker im Ort vorhanden sind, sollte man auf jenem bestehen, der am weitesten entfernt ist. Selbst dem Argument „Der Bäcker im Nachbarort hat das viel bessere Brot“ ist mitunter Aussicht auf Erfolg beschieden.
Der Erfinder. Für die Seefahrt wurden im Laufe der Jahrtausende gewisse Routinehandlungen entwickelt. Es ist, wie es ist: Palstek bleibt Palstek. Basta. Manche wollen die Weisheiten der alten Seefahrer jedoch neu erfinden. Einzige Gegenmaßnahme: Das scharfe Kommando „Nein! Nicht so!“ Wobei der maßnahmenbegleitende Blick auch die Drohung „Einmal noch so eine gute Idee, und du Trottl wirst kielgeholt!“ vermitteln sollte.
Der Angsthase. Menschen, die sich bei ihrem Segel-Debüt fürchten, sollten ernstgenommen werden. Erklärungen zu physikalischen Gesetzen helfen mitunter Ängste zu lindern. Viel, viel gefährlicher sind jene Draufgänger, die durch absurde Mutproben und schwachsinnige Kraftakte beweisen wollen, dass der ängstliche Mensch sich ja gar nicht zu fürchten braucht: Ungesichertes Herumklettern, freihändiges Pinkeln, übertriebenes Über-Die-Kante-Lehnen, absichtliche und unangekündigte Patenthalsen „zu Demonstrationszwecken“. Gegenmaßnahmen: Küchendienst, Bilge putzen, Wetterdienst abhören, Logbuch kontrollieren, Kartenkurs eintragen …

Übrigens: Eventuelle Ähnlichkeiten mit tatsächlich existierenden Personen wären rein zufällig. Sollten Parallelen nicht zu leugnen sein, gilt die Unschuldsvermutung. Für den Autor.

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