Der Erdferkel-Faktor

Im Unterschied zum ‚echten‘ America‘s-Cup vor Valencia ist die Louis-Vuitton-Trophy mit ihren fünf Stationen (Nizza und Auckland bereits absolviert, Sardinien, Dubai und Hongkong warten noch) richtig spannend. Höchstes Niveau, wechselnde Sieger, knappe Rennen, Bord-an-Bord-Kämpfe, unerklärliche Anfängerfehler, kurz, alles was das Herz von Match-Racing begehrt. Dazu kommt eine äußerst gekonnte und gerade für Segelexperten ergiebige Video-Berichterstattung mit vielen verschiedenen Kameraperspektiven, einem fachlich guten Kommentar und der Möglichkeit zum Replay (www.louisvuittontrophy.com/on_demand) – empfehlenswert.
Während ich dem Geschehen vor Auckland auf der anderen Seite der Welt zuschaue, fällt mir wiederum der Erdferkel-Faktor auf. Der ist für die spitzensportliche Tätigkeit im Rampenlicht zwar typisch, wird aber meist von allen außer den direkt Betroffenen ausgeblendet: das Auseinanderklaffen zwischen der glamourösens Oberfläche und der unbedankten, aber notwendigen und wenig glitzerenden Arbeit ‚im Hintergrund‘. Eingefallen ist mir das beim Betrachten der Rennen auf den Kreuzkursen. Von Luv betrachtet glaubt man an drastische Unterbesetzung: Sichtbar sind Steuermann, Taktiker, Navigator und der Stratege – aus. Wenden die Boote allerdings oder gehen sie um die Luvtonne, so kriecht – zwar nicht aus den Löchern, aber aus dem Untergrund – der ‚Rest‘ hervor: Grinder, Mastmann, Pit, Traveller, Focktrimmer, Midbow und wie sie alle heißen. Jeder (es gibt keine Frau auf diesen Booten) ist wichtig, klar. Aber trotzdem wird der Unterschied sichtbar: Hier die im Rampenlicht, denen sprichwörtlich und tatsächlich der Wind um die Ohren bläst, da diejenigen, die sich auf der Kreuz ducken müssen, die gerade mal bei einer Wende oder durch ein fürwitziges den Kopf-hoch-Strecken einen Blick auf das größere Ganze erhaschen. Glamour- und Erdferkelkompente sind also nicht gleich verteilt zwischen den Personen.
Es gilt aber auch: Der Erdferkel-Faktor trifft jeden – auch die im Rampenlicht. Einsam sind die endlosen Stunden, wo man bei schlechtem Novemberwetter keuchend seine Ausdauereinheit hinter sich bringt oder das Boot schleift und daran rumschraubt. Der glamouröse Kick von endlosen Autofahrten oder auch quälenden Flugstunden zum nächsten Wettkampfort, von Ärger mit den Zollbehörden über Freigabe von Material, von Zorn über nachlässige Behandlung heikler Ausrüstung oder von nagenden Zweifeln über die Sinnhaftigkeit des Ganzen ist eng begrenzt. Aber: Das gehört dazu und lässt sich nicht vermeiden. Es sieht keiner, es eignet sich allenfalls für das Feuilleton oder ein Feature, aber nicht für die Hochglanzbroschüren der Sponsoren, das schnelle Interview oder die glitzernde Außenseite. Wir alle sind auch Erdferkel …

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