Men at Work

Wharram Wanderbrief Nr. 3, verfasst in der Bar der Whisper Cove Marine, weil da ist das Internet gratis. - Merci, Jean-Claude!

"Glaubst, wird man selber so, wenn man zu lange hier auf der Insel bleibt?"
Der multiple Markus schaut mich von der Seite an.
Ich drehe nachdenklich eine Flasche Carib Beer in der epoxiverschmierten Hand.
"Wenn ja, dann lass uns machen, dass wir hier wegkommen..."

Der multiple Markus ist vor zwei Tagen zum Superpreis mit der Condor eingeflogen, danke liebe Condor, auch für das 30 Kilo-Limit beim Gepäck! In der einen Hand schleppte er 25 Kilo Katamaran-Netz, das kann man nämlich in Genada net kaufen, in der Steiermark aber schon - tippts mal "netzwelt.at" in den Browser, liebe Katamarinistis. An der anderen Hand hielt er Margarita, zu Recht Königin seines Herzens.

Die beiden haben nicht genug Geld in der Tasche, um auf der Mother mitzusegeln. Also schwingen sie als Heuer zwei Wochen lang unter der glühenden Sonne und von Moskitos umschwirrt Schleifblock, Lackpinsel und Epoxispachtel. Und falls sich irgend jemand einbildet, sie haben auch noch Spass dabei: Genau so ist es.

Multipel ist der Markus, weil er erstens ein exzellenter Raceboat-Vordecker, zweitens ein umsichtiger Rigger, drittens ein begnadeter Handwerker, viertens ein advanced open water diver und fünftens net umzuhauen ist. Sechstens führt er, wann immer ihm der Segelsport die Zeit dazu lässt, eine ebenfalls multiple Webdesign-/Grafik-/Fotografie-/Kreativ- und Eventagentur in Salzburg, aber ist das wirklich wichtig?

Den multiplen Markus haut wie gesagt normal nix aus den Schuhen. Aber Rob, der knieweiche Bootstischler, hats jetzt doch einmal geschafft. Seit wir zu dritt über das Boot kraxeln, um die überfällige Deckslackierung vorzubereiten, finden wir im Viertelstundentakt die Dinge, die Rob bei seiner mehrmonatigen Arbeit an der Mother Ocean übersehen, vergessen oder schlicht verbockt hat: Hier ein zwar sauber grundierter, aber leider an der Unterkante ausgebrochener Deckel, dort ein offensichtlicher Epoxischaden, der während der Arbeiten in 10 Minuten zu beseitigen gewesen wäre, jetzt aber, wo das Boot zusammengebaut ist, eine Haupt- und Staatsaktion auslöst. Und so weiter und so völlig weggetreten.

Mit einem Wort: Rob ist echt nicht allein. Wir nehmen mittlerweile an, dass er ständig von einem unsichtbaren, zwei Meter hohen Hasen namens Harvey begleitet wird. Und es liegt nahe, dass er Harvey mit den auf diskreten Lichtungen im Regenwald überreich wuchernden Kräutern der Gattung Cannabis Sativa füttert.

Weil das tun hier nämlich alle: Gestern Nachmittag haben die Rigger von der Firma Turbulence das Achterstag wieder abgehängt, keine zwei Wochen nachdem sie die Lanze feierlich aufgestellt haben. Sie oder ihre Zweimeter-Hasen haben nämlich leider das falsche Terminal auf den Draht gewalzt und das Ganze mit zwei ineinander gehängten Schäkeln zu beheben versucht. Dass ich nicht einverstanden war, hat sie bleibend überrascht.

Jedenfalls: Sie kamen schwebenden Schrittes an Bord, trugen nachtschwarze Sonnenbrillen zu den gestrickten Rastamützen und verständigten sich in zeitlupenartigem Pidgin. Irgendwie verblüffend war nur, dass sie einen Bootsmannstuhl als Aufstiegshilfe benützten: Hätten sie die Schraubenschlüssel aus den Shorts getan, dann wären sie wahrscheinlich mit der Thermik in den Mast geschwebt, so stoned waren sie.

Und jetzt auch noch Jean-Claude, der Thunfisch-Gott! Jean-Claude und Evelyne haben vor einem Jahr spontan die Whisper Cove Marina gekauft und betätigen sich seither vornehmlich als Wirten und Barkeeper. Net wirklich professionell, aber mit Herz und deshalb umso besser: Gestern erst hat uns Jean-Claude in seiner Küche einen halben Meter Bruststück von einem Thunfisch präsentiert, der am Vortag noch ahnungslos durch die Grenadastrasse geschwommen und am Morgen danach auf dem Weg zum Fischmarkt von St. Georges leider durch Fremdeinwirkung verschieden ist.

Jean-Claude hat uns daraus am Abend ein Thunfisch-Carpaccio gezaubert, dass in die Legende eingehen wird, und weils so schön war, gabs danach ein kreolisch gewürztes Thunfischsteak und dann konnten wir nicht mehr "Papp!" sagen, aber echt.

Jean-Claude hat nur ein einziges klitzekleines, aber nicht unwesentliches Problem: Seine erdbebensichere Annahme, dass er als Vertreter der Grande Nation ein Grundrecht auf französische Konversation hat, kollidiert im Zehnminutentakt frontal mit der Realität Grenadas. Er ist natürlich höflich, gehört sich ja für einen Franzosen. Also tut er so, als ob er jedes Wort versteht, wenn er auf Englisch, Italienisch oder Portugiesisch angeredet wird.

Um so komplexer gestaltet sich dann der Ablauf, wenn Markus, Margarita und ich an die Bar treten, um was Kaltes nachzutanken. Wir bestellen höflichkeitshalber in gebrochenem Französisch ein Ting (die hier allgegenwärtige Zirtonenlimo) auf Eis, also "glace". Jean-Claude geht höflichlichkeitshalber davon aus, dass wir ihn Englisch angeredet haben und leert ghortsam das Ting in ein "glass". Und ab da wirds etwas komplex.

Und irgendwann fragt dann der multiple Markus: "Glaubst, wird man selber so, wenn man zu lange hier auf der Insel bleibt?"

Womit wir am Ende dieses Wanderbriefes wären. Die Story von der Steuerprüferin, die mich segeln schickte, liefere ich vielleicht nächstes Mal, Ehrenwort. Und falls es wen interessiert: Der Dhingy-Blasebalg ist aufgetaucht. Im vorderen Laderaum. Aber wen interessiert das schon wirklich?

Maus- und Screenbruch, mon!

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