Ein blaues Fitnessstudio
Amazon hat uns an der Nase herumgeführt, oh Schreck. Das Versprechen der Klimaneutralität bis 2040, wurde von einer banalen Realität überholt: Der firmeneigene Ausstoß klimaschädlicher Gase stieg von 2019 bis 2021 um fast 40%, auf mehr als 71 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent durch die Covid-Konjunktur für den Onlinehandel. Mehr Umsatz, mehr Lager, mehr Leute, mehr Flieger, mehr Laster, mehr Emissionen, logisch. Aber unbequeme Wahrheiten lassen sich grünfärben und das sieht dann so aus: Die ausgestoßene CO2-Menge pro Artikel sei gesunken, so wurde aus 40% Plus ein kleines aber feines Minus der Karbon-Intensität von 1,9%. Dass bei der Berechnung nur Artikel zählten, die unter der Marke Amazon über den virtuellen Ladentisch wanderten, (ca. 1% des Gesamtvolumens), wird diskret verschwiegen.
So pries unlängst ein Industriekonzern, der sich in der Selbstdarstellung explizit Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt, die positiven Nebenwirkungen des Bootfahrens. Es sei gut für Aggressions-, Stress-, Gewichts- und Angstabbau. Auch Blutdruck, Herz, Schlaf, Sehvermögen, Sozialverhalten, Kindesentwicklung psychische Gesundheit und postoperative Genesung profitieren, und die Lebensdauer sowieso. Freizeit am Boot entspräche demnach einem blaufärbigen Fitnessstudio. Die Aussagen stammen übrigens von einem Wissenschaftler, den der Konzern beauftragt hat. Ein Schelm, wer Böses denkt.
Dass das Rauschen der Brandung an die Geräuschkulisse im Mutterleib erinnern könnte, okay, Wasser spielt auch dort eine lebenswichtige Rolle. Wackeliger finde ich die These des geringeren Technologieeinsatzes am Wasser, die sich nicht mit den Rekordumsätzen der Hersteller von Unterhaltungs- und Bootselektronik deckt. Oder die Annahme, dass das Geräusch eines startenden Bootsmotors ähnlich positive Assoziationen hervorrufe, wie killende Segel. Weiters stand im Pressetext, dass das menschliche Immunsystem möglicherwiese auch davon profitiere, am Wasser Biodiversität, Mikroorganismen, Protozoen und Helminthen (!) ausgesetzt zu sein.
Weit weniger kuschelig liest sich das Produktdatenblatt für eine Unterwasserfarbe dieses Konzerns, die Helminthen und anderen Meeresbewohnern den Garaus macht: Flüssigkeit und Dampf leicht entzündbar. Kann allergische Hautreaktionen verursachen. Verursacht schwere Augenschäden. Sehr giftig für Wasserorganismen. Giftig für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung. Genau das ist der Zweck von Bioziden, die solchen Farben für ein sauberes Unterwasserschiff beigemischt werden. Das mag in der Anwendung effektiv sein, doch mein Verständnis von Nachhaltigkeit sieht anders aus.