Nicht für die Schule soll sie lernen
„Daddy, sailing sucks*!” Also sprach die Tochter, am Steg sitzend mit Eisbeutel am Kopf. Es war der befürchtet schwierige Auftakt zum Experiment Segelkurs. Olivia, ganze 8, aber keck wie ein Teenager, bringt die Sache auf den Punkt. Großbaum, Beule, Erniedrigung. Depperter Opti. Die Kiste will nicht so, wie sie sich das vorstellt. Und dann noch der peinliche Vater, der das Leid dokumentiert. „Muss das sein?” Ja, es muss.
Warum tu ich uns das an? Falscher Elternehrgeiz? Apfel zu weit vom Stamm? Oder gar zu nahe? Hat sie zu wenig Ausdauer? Kein Talent? Die Zeit wird Klarheit schaffen. Eigentlich mach ich mir wenig Sorgen, ob die Tochter Seglerin wird. Das Interesse wird mit dem Spaß und dem Stolz über das Erreichte kommen. Warum also das Theater? Es handelt sich um einen didaktischen Schachzug, weil Olivia von der Genetik mit Geduld nicht gesegnet wurde und mit der Instant Gratification Generation aufwächst, frei nach dem Motto: „Ich will alles und zwar sofort.” Ein Segelkurs, in dem die Kids ihre Kisten selber aufriggen und zu Wasser bringen müssen, ist dafür die ideale Therapie. Sie muss sich mehr anstrengen als in der Schule und kann die Früchte der Arbeit erst später ernten. Oder gar nicht, wenn sie die Segelei bleiben lassen sollte.
Das Augenmerk des Kurses liegt auf Hands-on-Kompetenz und die erlangt man bekanntlich nur durch Praxis. Zwischendurch gibt es Knotenkunde, einfachste Theorie und Kentertraining, aber Lehrbücher, Paukerei oder gar Auswendiglernen stehen nicht an. Da bleibt keine Zeit zum Analysieren oder Jammern. Einfach machen. Für Kinder, die heutzutage (zu) viel Zeit mit fantasielosen, aber bis ins Detail strukturierten Tätigkeiten zubringen und dabei von Erwachsenen auf Schritt und Tritt beaufsichtigt werden oder dem Diktat von Bildschirm und Joystick verfallen sind, ist Segeln nicht nur Therapie sondern auch wertvolles Kontrastprogramm. Instruktion ist nur der Anfang, auf Perfektion stoßen sie selber – oder auch nicht. Es gibt keine Interpretation der Regeln, es gibt keine von Menschen programmierten Algorithmen, nur den Dickschädel der Natur. Wer nicht weiß, woher es weht, weiß auch nicht, wohin es geht. Um die Erfahrung zu optimieren, müssen die Lernenden eine Symbiose von Kraft, Geschick, Gefühl und Wahrnehmungsfähigkeit verinnerlichen. Viel vom einen und nix vom anderen ist zu wenig. Das hat Olivia auch bemerkt, nachdem Zorn und Schmerz nachgelassen haben. Nach einer Nachdenkpause gesteht sie: „Segeln ist eigentlich okay. Ein bisschen zumindest.” Und am Ende lernt sie womöglich noch, wie man Spaß daran hat. Halleluja.
* Papa, Segeln ist beschissen!