Der Sturm vor der Reise
„Frag mich ruhig, ich höre zu”, sagt die hübsche junge Frau in blau-weißem Ringelpullover und Jeans und nippt am Rotwein. Sie spricht ausgezeichnetes Deutsch und muss erst mal durchatmen nach ihrem Vortrag. Rappelvoll war der Hamburger Segel Club, mindestens die Hälfte der Anwesenden hat eines ihrer signierten Bücher gekauft. Mir gegenüber sitzt Laura Dekker, die Holländerin, die gerade 18 geworden ist, aber vor knapp zwei Jahren ihre Soloweltumsegelung beendet hat. Seither ist sie der jüngste Mensch, dem dies gelang, und hält damit einen Rekord, der offiziell keiner ist, weil Alter kein Kriterium mehr sein soll.
Um den Erdball zu segeln, das ist dank moderner Technologie kein so unfassliches Abenteuer mehr. Dennoch ragt Dekker über ihre Kolleginnen und Kollegen hinaus, die vor ihr Ähnliches vollbrachten: Ehe sie los durfte, musste sie eine bittere und öffentlich geführte Kampagne der niederländischen Behörden durchstehen. Man bestand darauf, dass sie bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres in der Schule zu sitzen habe. Gesetz ist Gesetz. Fernschule? Vergiss es. Dass Dekker zum Segeln buchstäblich geboren ist – sie kam während der Weltumsegelung ihrer Eltern an Bord einer Yacht zur Welt – zählte nicht. Der Staat statuierte ein Exempel. Die Jugendbehörde entzog dem Vater, bei dem sie lebte und der ihr Projekt unterstützte, das Sorgerecht. Laura Dekker wurde vor Gericht geschleppt, überwacht, gehackt und abgehört. Sie wurde missbraucht. „Sie wollten mich brechen, in der Hoffnung, dass ich aufgeben würde. Aber je stärker sie versuchten, mich zu brechen, desto mehr wollte ich weg aus diesem korrupten Land …”, schreibt sie. Strukturell ist es ein Tagebuch, das von der Reise eines Teenagers um die Welt erzählt. Ehrlich und bunt bebildert. Aber es gibt Passagen, die Gänsehaut machen. Fräulein Dekker animiert die Leser mit ihrer Story zum Nachdenken. Über ein verlogenes, brutales System, das Freiheit und Individualität vorgaukelt, sich aber über Kontrolle und Konformität legitimieren muss.