Der Verrückte des Atlantiks
Von Schottland nach Island. Oder über die Färöer nach Norwegen. Was nach einer Pilgerfahrt zu Europas großen Fußballnationen klingt, war immer ein Törn auf Abwegen im offenen Sperrholzdingi. Autark und ohne RIB, LED, GPS, AIS, UKW oder Satellitentelefon. Auch ohne Goretex und Funktionsunterwäsche. Aber auch ohne Schiss. Einfach machen. Nein, nachmachen. Denn Frank Dye, ein kurzsichtiger, leicht pummeliger Autohändler aus Norfolk, ist solche Touren in den 1960er Jahren mit einer 4,80 m kurzen Wayfarer-Jolle namens Wanderer gesegelt. Meist mit unverheirateten und bekloppten Vorschotern, die auf Abenteuer pur aus waren. Aber auch mit seiner Frau Margaret, die zwar vom Segeln keinen Tau hatte, aber fast genauso zäh war wie Skipper Frank, schon zu Lebzeiten eine Legende vor dem Herrn. Sein Beiname: „Der Verrückte des Atlantiks”. Unter anderem deswegen, weil er am 28. Juli 1964 mit seinem Schoten Bill Brockbank mitten auf der Norwegischen See einen Monstersturm mit neun Windstärken abwetterte. Viermal gekentert, viermal im 12 Grad kalten Wasser. Mast gebrochen. Verpflegung und Werkzeug, zack, über Bord. Aber der Klabautermann war nachsichtig. Als die beiden Tage später unter Notrigg im norwegischen Hafen Aalesund einliefen und klar wurde, was sie auf dem Törn, den Dye “Summer Cruise” nannte, auszuhalten hatten, meinten die Fischer nur: „You are madmans”.
Doch der verrückte Dye war so verrückt nicht. Er war vielmehr ein penibler Vorbereiter, ein fantastischer Improvisator sowie ein unglaublich guter Segler und Seemann, der in stockfinsteren Nächten nur nach Gehör präzise steuern konnte. Er rief nie um Hilfe, schon aus Prinzip nicht. Und er liebte den Norden. Margaret wollte zur Hochzeitsreise auf der Wanderer durch die Lagune von Venedig segeln, “zu den Galerien, Palazzi und Konzerten”. Daraus wurde ein Trip hinaus auf den Nordatlantik, nach St. Kilda, der westlichsten Insel der Äußeren Hebriden. Sie verzieht dem „Verrückten” und segelte mit ihm bis ins Alter. Immer auf Wanderer. Und immer auf Abwegen.
Buch: Ocean Crossing Wayfarer, Adlard Coles Nautical
Film: A Rough Passage: The Summer Cruise of Frank Dye and Bill Brockbank (auf YouTube)