Zwischen Scylla und Charybdis
Die internationalen Sportverbände (International Federations = IFs) steuern odysseisch auf eine Enge zu. Zur Erinnerung: Während seiner Irrfahrten muss Odysseus durch eine von Ungeheuern bewachte Meeresenge. Auf der einen Seite Scylla, ein Wesen, das alles frisst, was ihm nahekommt, gegenüber Charybdis, die Meerwasser einsaugt und so Schiffe zerstört. Odysseus kommt aus Furcht vor Charybdis Scylla zu nahe, sechs seiner Gefährten finden den Tod.
Was das mit den IFs zu tun hat? Sie müssen derzeit Position in einer Dilemmasituation beziehen: Wie halte ich es mit der Teilnahme von russischen und weißrussischen Aktiven an Sportveranstaltungen? Die Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees ist klar: Unter bestimmten Bedingungen (keine explizite Unterstützung des russischen Angriffskriegs oder Vertrag mit Militär oder Sicherheitskräften) können Aktive unter weißer Flagge als „individual neutral athletes“ antreten. Die Sportverbände reagieren sehr unterschiedlich darauf. Mächtige IFs wie etwa Leichtathletik schließen die Aktiven aus, gleiches tut World Sailing. Andere wiederum, etwa der Internationale Judo Verband, erlauben eine Teilnahme unter neutraler Flagge.
Wo ist das Dilemma? Nummer 1: Die große Mehrheit von Nationen will die Ukraine unterstützen, aber auch den Status als olympischer Sport erhalten. Auf Dauer gegen die Empfehlung des IOC zu handeln ist allerdings fast unmöglich. Dazu kommt Nummer 2: Die innere Einheit des IOC ins Wanken zu bringen, spielt jenen Kräften in die Hände, die den Sport im Ringen um eine neue Weltordnung – ausgetragen v.a. von den USA und China, aber auch Russland und Indien – instrumentalisieren. Die Gründung eines alternativen internationalen Boxverbands oder die von Russland nach 40-jähriger Pause demonstrativ unmittelbar nach Paris 2024 organisierten Freundschaftsspiele sind Wetterleuchten dafür, dass auch die Welt des Sports in massivem Umbruch ist. Ob mehr bleibt als die Wahl zwischen zwei Übeln?