Sehnsucht nach dem Anderswo
Nach wochenlanger Selbstisolation an Bord dürfen die Seenomaden endlich wieder Segel setzen
Seit einer knappen Woche ankert Nomad vor der Bilderbuchkulisse Fatu Hivas in der Baie de Hanavave. Die erstarrten Schlote erodierter Vulkane umgeben die Bucht und zeugen von der feurigen Geburt der Insel. Unfassbar: Wir sind bereits zum dritten Mal hier. 1995 schaukelten wir drei Tage lang im hohen Schwell und mussten das Paradies schlussendlich verlassen, ohne es betreten zu haben. Lange her, aber in meiner Erinnerung nicht weit entfernt. Tja, Vergangenheit, Gegenwart, schwer fassbare Zukunft. Alles verändert sich unablässig. Und nichts ist, wie es einmal war.
Der Mensch hat Sehnsucht. Ein Gefühl, das wir in den letzten Monaten hautnah verspürten. Von einem Tag auf den anderen wurden wir der Freiheit beraubt, durften nicht mehr weiter segeln. 49 lange Tage saßen wir wegen der Corona-Pandemie im Hafen von Atuona auf der Insel Hiva Oa (Marquesas) fest und warteten ab. Tausenden anderen, über den gesamten Globus verstreuten Seglern ging es ebenso. Segel setzen und abhauen? Keine Option. Wer den Ankerplatz verließ, riskierte keinen weiteren Hafen mehr anlaufen zu dürfen. Nicht nur Französisch Polynesien hat seine Grenzen geschlossen, auch fast alle anderen pazifischen Inselstaaten haben weitreichende Maßnahmen getroffen und dicht gemacht. Quasi gefangen im Paradies. Zum Bleiben gezwungen.
Es gab Tage, da konnte ich diese Situation nicht akzeptieren, suchte nach Möglichkeiten, unser Schiff sicher an Land abzustellen und heimzufliegen oder anderswo hinzusegeln. Ausgang ungewiss und zuweilen hoffnungslos. Überall anders wäre es besser als hier, glaubte ich. Heute weiß ich, dass man glaubt, wenn man zu wenig weiß. Und dass man sowieso nur einen kleinen Ausschnitt vom eigenen Leben sieht. Ich begriff, dass es eine Verschwendung von Zeit und Kraft ist, wenn ich mir um etwas Sorgen mache, das ich doch nicht ändern kann. Unsere Nomad bot doch maximalen Schutz gegen das Chaos an Land, gegen die ansteckende Angst und das düstere Spektakel, das unsere Welt aus den Angeln hob. Warum, fragte ich mich, will ich überhaupt weg von diesen Inseln, auf denen es kein Corona gibt? Ist es das fatale Gesetz unseres ständigen Unterwegsseins?