Das war der Woprschalek!
Sommerferien IX*. Schuld sind meistens nicht die Kinder, sondern …
Die Kunst bei einem Familientörn besteht darin, Kinder zu begeistern und zum Arbeiten, Trimmen und Steuern zu bewegen. Naturgemäß gelingt das viel besser, wenn besagte Kinder nicht die eigenen sind. Geht die Taktik auf, erspart man sich Fragen wie: „Darf ich auf den Mast klettern?“, „Darf ich Mann-über-Bord spielen?“ oder „Darf ich Mayday funken?“ Die Frage „Darf ich bitte das Geschirr abwaschen, alle Leinen klarieren und das Deck schrubben?“ kommt hingegen selten.
Prinzipiell gilt: Die Antwort auf eine Frage, die mit „Mama, darf ich …“ beginnt, lautet „Nein!“ Es sei denn, Mama und Skipper sind ein und dieselbe Person. Bei uns war dies nie der Fall.
Die Antwort auf eine Frage, die mit „Papa, darf ich …“ beginnt, lautet ebenfalls „Nein!“ Es sei denn, Papa will es sich nicht gleich zu Beginn des Törns mit den Kindern verscherzen. In diesem Fall antwortet er: „Frag‘ die Mama.“ Und die gibt dann die unausweichliche Antwort: „Nein!“
Zu autoritär? Zu brutal? Nicht zeitgemäß? Mag sein. Allerdings gelten Schiffe nicht gerade als Wiege der Demokratie. Kielholen und Auspeitschen sind zwar aus der Mode gekommen. Doch wenn Grönemeyer sein „Kinder an die Macht“ aus dem Bordlautsprecher nuschelt, rührt sich Captain William Bligh in mir (das ist der Unsympathler aus dem Klassiker „Meuterei auf der Bounty“).
Und wenn eine der Mütter sagt „Von mir aus darfst du, aber der Skipper hat’s verboten“, erwacht auch noch Commander Philip F. Queeg zu neuem Leben (und ich versuche Humphrey Bogarts diabolischen Augenaufschlag aus dem Film „Die Caine war ihr Schicksal“ nachzuahmen).
Einst an einer Boje vor der Insel Molat. Die idyllische Abendruhe wird von Gebrüll auf dem Nachbarschiff zerrissen. Ein Satz rauscht wie ein akustischer Tsunami über uns hinweg: „Das Logbuch ist kein Klassenbuch!“, donnert der Skipper. Wenig später verrät er mir die Ursache seines Tobsuchtanfalls. Verursacherin sei die Frau seines besten Freundes gewesen: „Die blöde Kuh hat zu ihrem Sohn gesagt: Wenn du nicht brav bist, schreibt dich der Kapitän ins Logbuch!“ Das war zu viel.
Profiskipper Helmut, ein reizender und friedfertiger Mensch, segelt oft mit Kindern. Er prägte den legendären Satz: „Das Problem sind nie die Kinder, sondern immer die Eltern.“
Natürlich kommt es vor, dass Kinder etwas anstellen. Mal geht ein Fender verloren, mal kleben Gummibärlis in sämtlichen Fugen des Salons. Eines Tages ergoss sich ein Glas Orangensaft über all meine Seekarten. Ich stellte daraufhin meine damals elfjährige Tochter zur Rede. Sie antwortete: „Das war der Woprschalek!“
Völlig ausgeschlossen, denn Woprschalek war kein blinder Passagier mit tschechischen Wurzeln, sondern eine Plüschente. Den Namen Woprschalek hatte ich ihr gegeben. Eine Notlösung, da das Kosenamen-Repertoire für Plüschtiere von Puppi über Pinki, Schwupsi, Flippi, Knotzi bis Furzi ausgeschöpft war. Der Satz „Das war der Woprschalek!“ wurde ursprünglich von mir bei allen unheimlichen Geräuschen im Haus benutzt, um den Kindelein die Angst vor Gespenstern zu nehmen.
Die Antwort meiner Tochter war also in jeder Hinsicht entwaffnend. Und stieg zum geflügelten Wort in allen Lebenslagen auf: Immer wenn etwas zu Bruch oder verloren ging, war‘s der Woprschalek. Eine Plüschente als Sündenbock: Funktioniert nur beim Wunder Familientörn.
*Immer in den Ferienmonaten Juli und August dreht sich die ABDRIFT um das Wunder Familientörn.