Luft zum Leben
Sechzehn Rettungswesten mit einem Auftriebsvolumen von 150N bis 300N im Praxistest. Wir verraten, welche Modelle wie abgeschnitten haben und worauf es bei einer guten Weste wirklich ankommt
Dass Menschen auf See ums Leben kommen, ist eine Seltenheit. Wenn doch, dann ertrinken sie meist, das ist laut Statistik mit 70 Prozent die häufigste Todesursache beim Segeln. Die überwiegende Mehrheit der Verunfallten, nämlich 80 bis 90 Prozent, trug keine Rettungsweste, als sie über Bord ging; viele Dramen hätte man also verhindern können.
Aber: Zu unbequem, zu schwer, zu behindernd, nicht nötig – die Ausreden sind hinreichend bekannt. Sie gelten aber längst nicht mehr. Die Hersteller haben mit viel Aufwand den Tragekomfort kontinuierlich erhöht und es gibt mittlerweile für jeden Körperbau und Einsatzzweck die richtige, sprich gut passende Weste.
Wir haben 16 automatische Rettungswesten getestet – vom einfachen Modell für Motorbootfahrer bis zur Highend-Variante für den Offshore-Segler – und wollen zeigen, worauf es wirklich ankommt. Abgesehen von der Grundausstattung, zu der Signalpfeife, Aufblasröhrchen, manuelle Auslösemöglichkeit und Bergeschlaufe zählen, unterscheiden sich Rettungswesten durch Auftriebsvolumen, Passform und Sicherheitsfeatures.
Auftrieb
Das Hauptunterscheidungsmerkmal von Rettungswesten stellt die Auftriebskraft des Schwimmkörpers dar. Waren beim letzten Rettungswesten-Test der Yachtrevue vor etwa acht Jahren nur Westen mit einem Auftrieb von 150N und 275N vertreten, so haben sich inzwischen zahlreiche Zwischengrößen etabliert. Das macht es dem Käufer nicht leicht, den Überblick zu bewahren.
Die von uns getesteten Westen können alle entweder der ISO Auftriebsklasse 12402-3 (150N) oder ISO Auftriebsklasse 12402-2 (275N) zugeordnet werden, wobei die jeweiligen Klassen die Mindestanforderung bestimmen. Da sich die 150N-Westen in der Vergangenheit als nicht ausreichend ohnmachtssicher erwiesen (siehe auch Yachtrevue 4/2009), bemühten sich die Hersteller vor allem aus Marketing-Gründen den Auftrieb zu erhöhen und die Maximalwerte auszureizen. Bei den elf aktuell getesteten Rettungswesten der 150N-Klassen wiesen nur noch zwei Modelle auch tatsächlich ein Volumen von 150N auf. Formal wird aber auch eine Rettungsweste mit einem Auftrieb von 220N der ISO-Klasse 12402-3 (150N) zugerechnet, wodurch dann von einer 150N-Weste die Rede ist, obwohl der tatsächliche Auftriebswert darüber liegt.
Der Norm zufolge sind Rettungswesten der 150N-Klasse für alle Gewässer geeignet und eingeschränkt ohnmachtssicher. Die Einschränkung gilt für Nutzer mit schwerer, wetterfester Kleidung in schwerer See. 275N-Westen sind hingegen für Träger auf hoher See unter extremen Bedingungen ausgelegt und in „fast allen Fällen ohnmachtssicher, auch mit Schlechtwetterbekleidung“. Als ohnmachtssicher gelten Rettungswesten dann, wenn sie Mund und Nase eines Bewusstlosen zuverlässig über Wasser halten. Da ein menschlicher Körper bei Bewusstlosigkeit auf Grund seiner Schwimmphysik in eine Bauchlage gerät, wird bei der Zertifizierung darauf geachtet, dass die Rettungsweste seinen Träger von der Bauchlage in die Rückenlage dreht.
Erwartungsgemäß schaffte es keine Rettungsweste der 150N-Auftriebsklasse unsere Testpersonen in Schwerwetterbekleidung von der Bauch- in die Rückenlage zu drehen. Die Lufteinschlüsse fielen zu groß aus, der Hebel war zu gering. Einzig die Aero Plus von Marinepool drehte über die Längsachse, sodass Mund und Nase aus dem Wasser gehoben wurden. Allerdings brauchte es dafür deutlich mehr als eine halbe Minute.
Die größeren 275N-Rettungswesten beförderten die Testpersonen spätestens nach 23 Sekunden in eine ohnmachtssichere Lage. Mit zehn Sekunden am schnellsten drehte die Scout 3D, die auf Grund ihrer als Tetraeder geformten Luftkissen über einen großen Hebelarm im Brustbereich verfügt. Da die Beeinflussung durch unterschiedlich stark ausgeprägte Lufteinschlüsse bei unserem Test nicht ausgeschlossen werden konnte, entschieden wir uns dafür, die absoluten Zahlen nicht zu veröffentlichen.
Um das Drehverhalten zu verbessern, gehen die Hersteller unterschiedliche Wege. Secumar etwa verpasste seinen Schwimmkörpern Flügel, die das seitliche Drehen optimieren sollen. Bei Marinepool hat man durchschnittlich 25N Auftrieb im Brustbereich ergänzt. „Am wichtigsten ist, dass im unteren Bereich, über der Brust, der größte Auftrieb generiert wird. Damit ist eine Drehung über die Längsachse garantiert“, erklärt Robert Appelt, internationaler Salesmanager des weltweit größten Rettungswestenherstellers. Keine Lösung sei es hingegen, den Westen immer größere Schwimmblasen zu verpassen. „Technisch gesehen könnten wir auch eine 400N-Weste machen, aber damit kommt man weder eine Badeleiter hinauf noch in eine Rettungsinsel hinein“, gibt Michael Schnell vom Spinlock-Importeur Frisch zu bedenken.
Tragekomfort
Das ist das wichtigste Kriterium überhaupt. Denn nur eine Rettungsweste, die als bequem empfunden wird und die Bewegungsfreiheit nicht einschränkt, wird auch getragen. „Daran tüfteln unsere Entwickler am meisten herum“, bestätigt auch Appelt.
Da der Tragekomfort stark von Körperbau und subjektivem Empfinden abhängt, ist er kaum allgemeingültig bzw. objektiv zu bewerten. Vor der Anschaffung einer Rettungsweste sollte man daher unbedingt viele verschiedene Modelle anprobieren und wenn möglich auch an Land und Wasser aufblasen bzw. auslösen.