Unter Korallen
Karibik. Im Meer vor Belize erstreckt sich ein 250 Kilometer langes Barriereriff und schützt ein Revier mit flachem Wasser und jeder Menge Attraktionen
Die Welt ist klein. Bei guter Flugverbindung gelangt man von Wien nach Singapur oder Hong Kong in wenig mehr als einem halben Tag.
Die Welt ist aber auch sehr groß. Das zeigt sich bei mancher Reise zu unbekannteren Zielen. Zum Beispiel nach Placencia.
Placencia ist ein Ort im Süden von Belize. Belize ist ein Kleinstaat in Mittelamerika.
Am schnellsten gelangt man nach Placencia mit einem Zwischenstopp in den USA, etwa über die Route Wien–Frankfurt–Houston–Belize City–Placencia. Fünf Starts und Landungen. Das geht sich in einem Kalendertag nicht aus. Je nach Verspätungen, Flugausfällen und Verhandlungszeiten in den Gepäck-Verlust-Servicestellen ist man zwischen 35 Stunden und einer halben Ewigkeit unterwegs. Bei der hier beschriebenen Reise war das noch mit FFP2-Maskenpflicht in den Flugzeugen und Flughäfen garniert. Sehr vergnüglich.
Komfortbewusste Menschen brauchen eine starke Motivation, um sich einen solchen Trip anzutun. Das Meer vor Placencia ist ein solcher Beweggrund. Andere gute Gründe gäbe es auch. Die archäologischen Zeugnisse der Maya-Kultur oder die prachtvollen Jaguare des Dschungels von Belize. Die Pyramiden sind anderswo billiger zu haben und die Jaguare der freien Wildbahn bleiben für unsereinen konsequent unsichtbar.
Bleibt das Meer. Es ist ein spezielles, weil von einem gewaltigen Barriereriff durchzogen. Von der mexikanischen Halbinsel Yucatán erstreckt es sich auf einer Länge von mehr als 250 Kilometern bis vor die Küste von Honduras. Rund 450 Inseln und Inselchen haben sich durch das Wachstum der Korallen und die Ansammlung von Sand gebildet. Das Meer zwischen dieser Insel- und Korallenkette und dem Festland ist ruhig, seicht und reich an Naturattraktionen. Seekühe grasen hier, seltene Schildkröten besuchen den Archipel zur Eiablage, Krokodile kommen vor, Haie sogar in erheblicher Artenvielfalt. Das wollte man schützen. Vor Jahrzehnten schon wurde im küstennahen Meer vor Belize der kommerzielle Fischfang verboten. Seit 1996 ist es bei der UNESCO als Weltnaturerbe registriert.
Für die Menschen in Belize hat das überwiegend Vorteile. Der Tourismus entwickelt sich gut und generiert mittlerweile zehn Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Wobei Entwicklungen aller Art in Belize ein wenig langsamer vor sich gehen als in anderen, auch tropischen Staaten.
Seit das Land 1981 die Unabhängigkeit von Großbritannien erklärt und seinen Namen von Britisch Honduras auf Belize geändert hat, ist es für seine Bewohner stetig bergauf gegangen. Das Land ist nicht mehr bettelarm, sondern arm. Das BIP pro Kopf liegt bei 6.000 Dollar, das ist rund ein Zehntel von dem, was in Österreich erwirtschaftet wird. In Belize City – nicht Hauptstadt, aber weitaus größte Stadt des Staates – erheben sich die meisten Häuser nicht über den ersten Stock. Das Rathaus als hervorragender Prachtbau der Agglomeration beschränkt sich auf fünf Fenster an jeder seiner Seiten. In Städten von geringerer Bedeutung, etwa Dangriga, dem Hauptort des touristisch gut erschlossenen Stann Creek Districts, sind nur wenige Straßen befestigt. Man kann sich hier das Nötigste für ein kultiviertes Leben besorgen – Zahnpaste, Shirt, Mobiltelefon, Autoreifen – aber nicht mehr.
Den Belizianern merkt man die bescheidene Wirtschaftslage nicht an. Sie sind von frohem Naturell, tragen bunte, saubere Kleidung, sind – wenn sie schon sonst nichts haben – mit Iphones und Nike-Sneakers-Nachbauten ausgestattet und überwiegend der festen Überzeugung, dass Stress wesentlich gefährlicher ist als alle Infektionskrankheiten zusammen. Gar nicht aufkommen lassen, den Stress!