Am Rande des Kontinents
Ein deutsches Eigner-Paar schipperte auf einem 72-Fuß-Halbgleiter in 140 Tagen von Rostock bis zum Nordkap und wieder zurück
Es gibt Grund zu feiern: Wir haben 66°33‘55‘‘ nördliche Breite und damit den Polarkreis gequert. Zur Orientierung: Schottland, die Shetlands, Faröer, selbst Island und Nuuk, die Hauptstadt Grönlands, liegen südlich von uns. Wir befinden uns auf der Höhe von Alaska und Sibirien – nur dass der Golfstrom hier für andere klimatische Bedingungen sorgt. So hoch im Norden waren wir noch nie, weder mit dem eigenen Schiff noch sonst wie. Die gewaltige Entfernung von der Heimat macht sich auch insofern bemerkbar, als wir uns dem Grenzbereich der Ausleuchtzone des Fernsehsatelliten ASTRA nähern. In Häfen mit hoher Bebauung oder in von Bergen gesäumten Fjorden kommt kein Signal mehr an. Auch unser Barometer, das per Funk aus Frankfurt mit der Uhrzeit versorgt wird, liefert falsche Daten. Das liegt nicht an der Batterie, wie zunächst vermutet, sondern an der Distanz zu Deutschland, die inzwischen die Reichweite des Senders übersteigt. Der Tiefenmesser macht ebenfalls Mucken, er zeigt ab und zu nur noch Striche an, denn wir durchfahren hier Fjorde, die über 800 Meter tief sind. Richtung Norden nimmt auch die Tide deutlich zu, derzeit haben wir rund zwei Meter, zum Nordkap hin soll sie auf drei Meter steigen. Beim Festmachen der Yacht ist das aber kein Problem, da es in den Häfen fast ausschließlich Schwimmstege gibt. In den zum Teil engen Fjorden können allerdings starke Strömungen, manchmal auch Strudel entstehen. In Saltstraumen, südöstlich von unserem derzeitigen Standpunkt Bodö gelegen, gurgelt sogar der stärkste Gezeitenstrom der Welt. Alle sechs Stunden werden 400 Millionen Kubikmeter Wasser mit einer Geschwindigkeit von 20 Knoten durch die drei Kilometer lange und nur 150 Meter breite Meerenge zwischen Saltenfjord und Skjerstadtfjord gepresst. Ein Paradies für Angler, die hier auf schnelle Beute hoffen.
Wir hoffen derzeit auf besseres Wetter. Seit wir vor über vier Wochen von Rostock abgelegt haben, waren starke westliche Winde, entsprechender Seegang, Kälte und Regen unsere ständigen Begleiter. Entlang der westschwedischen Küste konnten wir uns zum Glück in den Schären verstecken, wo ein schnuckeliger Hafen dem nächsten folgte, ab dem Südkap, wie der südlichste Punkt Norwegens bei Lindesnes genannt wird, galt es aber einige Etappen durch offene, ungeschützte Gewässer zu bewältigen. Unter der Rubrik Kaffeefahrt war das nicht immer abzulegen und so half manchmal nur die Flucht in einen Fjord, um dort auf besseres Wetter zu warten. Der Norwegen-Teil unserer Tour war für uns eine Mischung aus Vergnügen und Auseinandersetzung mit der Natur. In Bergen, der zweitgrößten Stadt Norwegens, lagen wir an der verrotteten Pier eines Bürohauses, ohne Strom und Wasser, dafür mit traumhaftem Blick auf die Altstadt. Wir unternahmen einen Ausflug auf den Hausberg der Stadt, den Floyen, lauschten dort einem Jazztrio, das mit klammen Fingern am Gipfel aufspielte, besuchten die von Edvard Munch dominierten Kunstmuseen und eine Vorstellung in den Grieghallen. Eine tolle, kultivierte, charmante Stadt, in der man viel Spaß haben kann.
Nicht zu spaßen ist hingegen mit dem Atlantik. Allein die Dünung, die hier ständig steht und selten mit der gerade herrschenden Windrichtung zusammenfällt, macht eine Bootsfahrt ungemütlich und so können wir nur zu gut verstehen, dass der norwegische Rettungsdienst RS in der Hauptsaison an besonders exponierten Stellen Geleitzüge für die Sportschifffahrt anbietet. Selbst die so unerschütterlich wirkenden Hurtigruten-Schiffe bleiben bei sehr rauen Wetterbedingungen im Hafen – Fahrplan hin oder her. Kein Scherz: Norwegen plant an der besonders gefährlichen Halbinsel Stadlandet, auch als Westkap bekannt, den ersten Schiffstunnel der Welt zu errichten, der auch Hochseeschiffe wie Frachter oder eben die Hurtigruten-Dampfer aufnehmen kann. Auf 1,7 km Länge soll bei Selje ein Megatunnel durch den Fels geschlagen werden, der auf 26,5 m Breite, 12 m Wassertiefe und sage und schreibe 37 m Höhe ausgelegt ist. Mit dem Bau soll 2019 begonnen werden, die Kosten werden auf 300 Millionen Euro geschätzt.
Die berüchtigte Passage des Westkaps haben wir bereits erfolgreich hinter uns gebracht, auch wenn wir von starken Wind- und Grundseen ordentlich durchgeschüttelt wurden. Jetzt lösen wir in Bödo bei frischem Wind, aber blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein unsere Leinen. Die Prognose kündigt tatsächlich besseres Wetter mit Temperaturen um 12 Grad an; immerhin doppelt so viel wie in den Tagen davor. Als wir die Insel Landegode umfahren, zeigen sich am Horizont die schneebedeckten, majestätischen Gipfel der Lofoten. Sie sind in einem Halbkreis gruppiert – als hätte ein Sämann die Alpen mit einer Handbewegung in die Norwegische See gestreut.
Unser Ziel ist Henningsvaer, ein niedliches, urtümliches Fischerdorf auf einer den Lofoten vorgelagerten Insel, in dem sich alles um den Stockfisch dreht. Interessante These: Die großen Entdeckungsreisen, aber auch die Versorgung von umherziehenden Soldatenheeren wären ohne diesem getrockneten Fisch nicht möglich gewesen. Er ließ sich über lange Zeiträume bzw. Distanzen mitführen und stellte damit eine Grundernährung sicher. Früher galt Stockfisch als Arme-Leute-Essen, heute ist er aufgrund des starken Rückgangs der Kabeljaubestände selten und damit teuer geworden. Wir verkosten ihn unterschiedlich zubereitet als Vor- und Hauptspeise und sind begeistert davon.
Auf dem Trockenen
Bei Sonne mit Wölkchen legen wir in Henningsvaer ab und kommen bei Sonne ohne Wölkchen in Svolvaer an, der Hauptstadt der Lofoten. Nach sechs Wochen auf See kommt erstmals so etwas wie Sommergefühl auf. In allerbester Laune genießen wir auf der Flybridge eine Tasse Kaffee, als völlig überraschend zwei Zollbeamte am am Steg auftauchen und Papiere sowie Schiff komplett durchchecken. Freundlich, aber bestimmt erklärt man uns, dass wir uns bei der Einreise nach Norwegen bei Immigration und Zoll hätten melden müssen. Thema sind die mitgeführten alkoholischen Getränke.