Zum Greifen nah
Bei Les Voiles de Saint-Tropez treffen einander alljährlich im Herbst edle Klassiker und schnelle Higtech-Racer. Judith Duller-Mayrhofer beobachtete das Geschehen von Bord einer Stagsegelketsch aus und ließ sich vom Flair der Veranstaltung nur zu gern gefangen nehmen
Selten bin ich sprachlos, noch seltener bleibt mir der Mund offen stehen. Jetzt passiert beides. Wir liegen in der Bucht von Saint-Tropez mit freiem Blick auf rund hundert Oldtimer-Yachten. Die Szenerie könnte beeindruckender nicht sein. Blank polierte Bronze-Beschläge und schimmerndes Holz erzählen von zeitloser Schönheit, die Eleganz der Linien spiegelt die Genialität der Designer wider. Die Klassiker nehmen an Les Voiles de Saint-Tropez teil, werden demnächst ihre erste Wettfahrt bestreiten und aufgeteilt in zehn unterschiedliche Gruppen über die Startlinie gehen – und wir sind hautnah dabei. Das Spektrum des Gebotenen reicht vom 30-m2-Schärenkreuzer bis zur 55 Meter langen Elena of London, wobei Letztere gerade unter Vollbesegelung an unserem Heck vorbei rauscht. Über 1.000 Quadratmeter Tuch sind auf ihren beiden Masten gesetzt und werden von der Crew professionell bedient. Es handelt sich um die Replika eines Schoners, der von Nathanael Herreshoff entworfen und 1911 zu Wasser gelassen wurde. Beim Nachbau hielt man sich an Pläne sowie Zeichnungen aus dem Erbe des legendären Designers und damit weitgehend an die Urfassung. Das Ergebnis ist ein überwältigender Anblick, speziell in voller Fahrt. Etwas weiter weg kann ich die Sumurun ausmachen, 35 Meter lang und aus der Feder vom nicht minder legendären William Fife stammend, ein echtes Original aus 1914, das kürzlich aufwendig restauriert wurde. Und hier, direkt vor meiner Nase, die Moonbeam! Ebenfalls von William Fife gezeichnet und die vielleicht schönste Klassikyacht überhaupt. Wie oft habe ich dieses 1903 vom Stapel gelaufene Kleinod schon auf Fotos bewundert! Und wie atemberaubend ist es, diesen Gafffelkutter aus nächster Nähe in seinem angestammten Element erleben zu dürfen.
Nachdem auch die letzte und schnellste Gruppe gestartet ist, begleiten wir das Feld in Lee. Unter Segel selbstverständlich, denn die 54 Meter lange Rhea bewegt sich so oft wie möglich mit dem Wind. Das ist ganz im Sinne ihres Eigners, dem leidenschaftlichen Segler Andreas Steidle-Sailer, trifft aber auch die Erwartungen der Gäste. Auf den ersten Blick mögen die 22 Passagiere wie eine bunte Truppe wirken, von der Maturantin aus Innsbruck bis zum pensionierten Hamburger Rechtsanwalt, doch es gibt eine klare gemeinsame Klammer und das ist die Affinität zum Segelsport. Viele besitzen selbst ein Boot, sei es in Mallorca, sei es auf einem Stausee im Südsauerland, ein Pärchen schipperte sogar auf eigenem Kiel nach Den Haag um live beim Finale des Volvo Ocean Race dabei zu sein.
Stilvolle Anreise
Vor zwei Tagen haben wir alle in Antibes unsere Kabinen an Bord der Rhea bezogen; jede ist nach einem Entdecker bekannt, unsere nach dem Italiener Amerigo Vespucci. Nach dem ersten Kennenlernen bei einem gemeinsamen Abendessen und der ersten Nacht auf See ging es zur Ile St. Honorat, einer kleinen, autofreien Insel, die als Keimzelle des Mönchtums in Westeuropa gilt. Wer mochte, konnte sich mit dem Dingi an Land bringen lassen. Auch wir nutzten die Gelegenheit, um uns die Beine zu vertreten, spazierten über den Rundweg zu dem gepflegten Zisterzienser-Kloster und ließen spätestens jetzt allen Alltag hinter uns. Nach einem weiteren Zwischenstopp in der Bucht von Agay erreichten wir schließlich unser Ziel Saint-Tropez, wo wir für den Rest der Woche bleiben und vom Wasser wie vom Lande aus die Jubiläumsauflage von Les Voiles de Saint-Tropez verfolgen wollen. Die Veranstaltung, die im Jahr 1981 ihren Ursprung hat, erlangte zunächst unter dem Begriff „La Nioulargue“ internationale Bekanntheit, wurde Mitte der 1990er nach einem tödlichen Unfall am Regattaparcours für drei Jahre gestoppt und 1999 mit neuem Namen wiederaufgelegt. Als „Les Voiles“ feiert das Event, das stets in der ersten Oktober-Woche stattfindet, heuer seinen zwanzigsten Geburtstag. Es markiert den Ausklang der Saison im Mittelmeer, ist Fixpunkt im Kalender der Segel-High-Society und zieht regelmäßig die schönsten und schnellsten Yachten aus allen Epochen an. Ein Spektakel der Sonderklasse.
Viele Zuschauer kommen wie wir per Boot nach Saint-Tropez und so befinden wir uns auf unserem Ankerplatz in formidabler Gesellschaft. Unweit der Rhea schwojt die Atlantic, Replika eines legendären Drei-Mast-Schoners. Er stellte 1905 unter dem schottischen Skipper Charlie Barr einen Transat-Rekord auf, der hundert Jahre halten sollte, und beherbergt heute auf 185 Fuß ganze zwölf Gäste. Etwas weiter westlich liegt der 1927 gebaute Stagsegelschoner Creole, die größte Holz-Segelyacht der Welt und den Töchtern des ermordeten Modedesigners Maurizio Gucci gehörend, direkt daneben, als Kontrapunkt in jeder Hinsicht, die futuristisch anmutende 41-Meter-Motoryacht Ocean Sapphire. Sie wurde vom berühmten britischen Architekten Norman Foster entworfen und sieht aus wie ein schwimmendes Ei.
Wir sitzen ganz gemütlich mit einem Gin Fizz in der Hand am Vorschiff der Rhea, bestaunen diese Exponate im warmen Licht der untergehenden Sonne und sind bald mit den anderen Gästen in eine ebenso interessante wie angeregte Unterhaltung über Luxus, wahren Reichtum und flüchtiges Glück verwickelt. Sie endet erst, als die Schiffsglocke bimmelt und uns zum Abendessen auf das Achterdeck ruft.
Zurück in die Gegenwart
Die Oldtimer zu beobachten, kam einer Safari gleich, heute ist Formel 1 angesagt. Steuerfrau Nici, eine hochgewachsene 27-Jährige, die sich trotz abgeschlossenen Logistik-Studiums für ein Leben auf See entschied, hat die Rhea in Richtung des Party-Strands Pampelonne manövriert, vor dem der Kurs für die modernen Superyachten ausgelegt ist. Die Wallys starten extra, bei etwa 20 Knoten Wind umtänzeln sie einander wie nervöse Rennpferde. Besonders prominent besetzt ist die Wally Cento Magic Carpet 3, die dem ehemaligen L’Oréal-Boss Lindsay Owen-Jones gehört; er engagierte mit Steuermann Jochen Schümann, Wetter-Router Marcel van Triest und Segelmacher Tom Whidden gleich drei Weltklasse-Spezialisten des jeweiligen Fachs. Einem Raubtier gleich lauert beim nächsten Start die Rambler 88 des US-Amerikaners George David auf ihre Chance. Der silberne Rumpf des Jägers glitzert in der Sonne, Speed und Beschleunigung sind unfasslich, als Zuseher meint man förmlich das Adrenalin in den Adern der Mannschaft zu spüren.