Der Der dritte Wanderbrief 2010: Katze ohne Schwester im Paradies ohne Wasser

Bitte, ich hab jetzt total über die Schnur gehaut, und es tut mit net amal leid. Es begann nach Sonnenuntergang. Da bin ich, wie jeden Abend, nach getaner Arbeit vom Boatyard rüber in die Rodney Bay Marina gewackelt und hab mich wie fast jeden Abend an der Bar vom Cafe Ole angeklemmt und ein Bier bestellt. Braucht man, wenn man in der Früh die Bootselektrik sortiert, am Vormittag sämtlichen frisch eingetroffenen West Epoxi 406er-Füller aus der Island Water World Chandlery requiriert, über Mittag eine Steuerseilrolle gebaut und den Nachmittag über Rumpf geschliffen hat, mit Staubmaske und Schutzbrille in der prallen Sonne.

Aber kaum war das Bier ausgetrunken, bin ich Hals über Kopf\u00A0 geflüchtet.\u00A0 Weil es war nämlich Schokoschnittenabend.

Eine Schokoschnitte müssts\u00A0 Ihr Euch so vorstellen, liebe LeserInnen: Ein Seelenleben wie eine Schwerkraftfalle, transportiert durch ein Mundwerk wie ein Elektrohobel, umhüllt\u00A0 von einer Figur wie ein schwarzmetallicfarbener Lamborghini, notdürftig straßentauglich karossiert mit einem zwei Nummern zu kleinen kreischfarbenen Bikini, und bewacht von einer fürs Lebendgewicht etwas untergroßen Puffmutter.

Die Puffmutter mit zwei ausgesuchten Schokoschnitten im Schlepptau war also heut Abend an der Cafe Ole Bar anwesend und ihre Schnitten haben etwas, sagen wir mal, aggressive Werbung fürs Etablissement gemacht. Männerschnitten sozusagen. Und bevor sie engeren Kontakt mit mir gesucht haben, bin ich ins Bosun´s geflüchtet. Das Bosun´s ist eine Bar mit Restaurant und begabtem thailändischen Koch, zwanzig Schritte vom Cafe Ole im Oberstock, und wenn ich mich verwöhnen will, geh ich dorthin und kauf mir ein Curry, weil das können sie.

Und ich wollt mich verwöhnen, weil, wie der legendäre Muskrat (der mitm Kazoo, google him!) damals in Woodstock so inhaltlich korrekt ins Mikro geschrien hat: „There´s always a litle bit of heaven in a desaster area, man!“ Und Katastrophengebiet ist St. Lucia zur Zeit. Aber sowas von. Die Insel ist von Banenenindustrie und Tourismus wassermäßig völlig leergesaugt und taumelt als Trockenzombie durch den Saisonrest. Heute Früh wurde im Radio durchgegeben, dass die Wasserwerke der Insel mit Sonnenuntergang endgültig die Arbeit einstellen, weil das einzige Wasserreservior der Insel endgültig leer ist. Und aus, Maus.

Es war nämlich diese Saison eine ziemlich regenlose Regenzeit in der Karibik. Kaum Hurrikans, die ihren Namen verdienten. Total wenig tropische Depressionen. Und generell viel zu viel schönes Wetter in den Monaten, in denen es wenigsten dreimal am Tag und am besten den ganzen Tag lang regnen sollte. Halt ein typisches El Nino-Jahr, war eh lang nimmer. Aber jetzt isses so weit. Und entsprechend mies steht St. Lucia jetzt, am Anfang der Trockenzeit, da. Mir ist es einerseits Recht, weil die vielen regenlosen Tage das Arbeiten mit Epoxi und Glas ziemlich beschleunigen.

Andererseits: Heut hab ich den ganzen Tag lang Glasfaser geschliffen , und die kleinen Spießchen stecken im Rücken und im Hals und auf der Brust und entlang der Gürtelline und es JUUUUUCKT! Wahnsinn! Und jetzt hätt ich total gern eine zirka eineinhalbstündige Dusche, aber nix is. Als matten Ersatz schleppe ich meinen vorletzten Vorrats-Wassereimer zum Sanitärcontainer, wasche mich aus dem Kübel, hebe den dreckigen Rest für morgen auf und nach dem Abtrocknen juckts noch immer, und jetzt wird es Zeit für einen mentalen Ausgleich, sonst hau ich den ganzen Mist hin und flieg heim.

Der mentale Ausgleich war dann ein würdiges Sirloin Steak, medium to rare, mit einer leichten Pfeffersoße und zwei Gläsern chilenischem, aber trotzdem passablem Cabernet als Begleitung.

Seltsam und denkwürdig: Kaum betritt eine tote Kuh meinen Verdauungstrakt, überwältigt mich kosmische, universelle Liebe. Zu allem und jedem. Ich umarme sie alle. Die Glasspieße in meinem Rücken, die zerbröckelnde Hornhaut an meinen Fußsohlen, die praktisch unzerstörbare schwarzgraue Epoxidharz-Schleifstaub-Dreckmischung unter und auf meinen Fingernägeln, diese, bei Lukullus!, nicht umsonst verblichene Kuh in meinem Magen, die vergorenen Trauben, die mir langsam zu Kopf steigen, \u00A0die zuckersüße Kellnerin mit dem Breitspurarsch – und sogar die professionellen\u00A0 Schokoschnitten, weil schließlich haben sie mich hierher vertrieben.

Naja. Muss wohl der Wein sein, normal bin ich gar net so rührselig.

Ich zahle umgerechnet 20 Euro, steige auf mein schlechtes Gewissen drauf und drehe die Ferse um, bis es sich nicht mehr rührt, und wackle in einem leichten Kreuzkurs heim zu meinem Boot. Es steht endlich wieder im Flutlicht, weil das war eine Woche lang aus. Aber jetzt kann ich endlich wieder nach Sonnenuntergang Glasmatte verlegen und das ist gut, weil im hellen Sonnenschein ist das Epoxi zu schnell für solche Sachen.

Und unterm Boot wartet Sheba, die Ex-Schwester. Weil Charlene, Langhaarkatze Nummer 2, ist seit einer Woche abgängig. Entweder hat sie sich unter ein Auto gehaut – oder sie hat einen Rasta-Kater getroffen und ihr Herz verloren. Jedenfalls: Sheba ist jetzt allein und irritiert. Und ich klemm sie untern Arm, trage sie die Leiter rauf an Bord, und während ich diesen Blog schreibe, sitzt sie neben mir und schickt Euch allen ein karibisches „Schnurr!“

Mother Ocean schickt Euch auch ein "schnurr!", weil ihr geht’s immer besser. Sie hat jetzt wieder ein komplettes Deck, ab morgen eine komplett funktionierende Elektrik und ab kommenden Sonntag rundum gesunde Beamtröge. Mag net irgendwer auf Ostertörn kommen? Weil eine Abschiedstournee zu meinen Lieblingsplätzen wär schon standesgemäß, aber die fahr ich nur, wenn wer chartert. Was ist mit Dir? Tobago Cays? Das Frangipani in Bequia? Die Wallilabou in Vincent? Boiling Lake und Indian River in Dominica? Hmmm? Mail michael.lynn <AT> chello.at – MAIL JETZ T AN!

Übrigens: Eigetlich hätt ich jetzt gern paar Fotos angehängt. aber 200 kb maximal?

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