Bermuda-Horta: Wir habens geschafft.

Abstürzende Drucklinien - ein Bild von einem Sauwetter auf 39N/60W

Vier Tage vor nacktem Mast. Ist erzieherisch, irgendwie....

Wir habens geschafft. Wir habens… geschafft… - ge… - wie eigentlich? Ich schaue auf die letzten 24 Tage zurück und sehe 30-sekündige youtube-clips durch mein Gedächtnis rauschen – aufgenommen aus ziemlich seltsamen Kamerawinkeln. Hab ich Entkörperlichungserfahrungen gehabt? So ähnlich wie diese häufig beschriebene Nahtod-Nummer, wo Du von unten auf Dich runterguckst, und auf die Ärzte, die den Defi laden?

Egal. Schreib ich halt diesen Blog auch in Form von youtube-clips. Filmausschnitte von einer Reise an Grenzen: Treibeisgrenze, physische Leistungsgrenze, psychische Leistungsgrenze, pipapo. Am besten, wir machens gleich mit youtube-kompatiblen Filmchentiteln:

"Flying Dolphins in Raging Waves
Never seen before – watch it!"

Ich stehe am Steuer und schaue einer Schar Delfine beim Spielen zu. Normalbetrieb, irgendwie, bis auf die Tatsache, dass ich dazu den Kopf ins Genick legen muss. Seit wir Bermuda verlassen haben, schickt uns ein kompaktes subtropisches Sturmtief Winde, die uns in einer ziemlich geraden Linie nach Norden treiben. Ist mir Recht: Mother Ocean ist ein Segelboot, kein Motorsegler. Also folge ich der traditionellen Route Richtung 40 Nord, 50 West. Oder doch eher 60 West? Jedenfalls: Der Weg ist ungewöhnlich nass und salzig, weil hart am Wind bei sechs bis sieben Windstärken und entsprechende Welle. Entsprechend zermürbt kriecht die Wache bei Sonnenaufgang hinters Steuer. Es ist ein strahlend klarer, wolkenloser Morgen. Das Meer ist tintenblau mit persilweißen Schaumkronen – und dann sind die Delfine da. Sie ziehen über mir durch Wellen, die das Deck um Meter überragen und man sieht, sie haben Spaß dabei. Ansteckenden Spass. Meine Müdigkeit verfliegt. Ich beginne, im Kreis zu grinsen. Delfintherapie für Seeleute? Gibts nicht? Gibts doch. Macht´s gut - und danke für die gute Energie…

"Insane Offshore Action!
Must see – these blokes are out of their effing minds, man!"

Kameraeinstellung: Mother Ocean von leicht oben, so zirka aus der Höhe erste Saling, beschienen von einem diffusen Vollmondlicht, das durch eine niedrige Wolkendecke scheint. Alles, echt alles ist geisterhaft weiß: Das Deck, der zunehmend flächendeckende Schaum auf dem Wasser, die Welle, die seitlich über das Boot donnert und sich anschickt, zu zertrümmern, was nicht niet- und nagelfest (und vor allem Wharram-kompatibel wasserdurchlässig!) ist, und zwei Gestalten, die im Chaos übers Deck turnen. Der Soundtrack ist ein höllisches Kreischen und Pfeifen.

Vor Einbruch der Dunkelheit haben wir die Segelfläche auf die erstens handtuchgroße, zweitens kugelsicher ausgeführte Sturmfock reduziert. Gut so. Nach dem Wechsel fuhren wir zwischen fünf und sieben Knoten über sechs Meter Welle. Nach Einbruch der Dunkelheit wurden es acht bis 12 Knoten über acht Meter Welle. In meiner Koje liegend registriere ich den zunehmenden Wind als anschwellendes Brummen und die Welle als irgendwas zwischen sehr lautem Rauschen und gedämpftem Donner. Und es wird lauter, und lauter, und…. – naja. Nix, wo Du ruhig schläfst, halt. Irgendwann macht der Rudergänger eine falsche Bewegung und wir schlagen quer. Als ich an Deck stürme, liegen wir mit backstehender Sturmfock da und der Wind, vor dem wir vorher elegant davongelaufen sind, erzeugt ein Kreischen in den Wanten, das irgendwie fatal an Unzucht treibende Katzen erinnert. Nur noch viel lauter und böser. Ich muss an diesem Punkt irgendwie meinen Körper verlassen haben. Weil die erste Welle, die über das Boot geht, zeigt mir meine Erinnerung richtiggehend aus der Vogelperspektive. Wie länge hält das Boot das aus, frage ich mich. Im Hirn leuchtet das Blinklicht „don´t panic“ auf. Ich flute mein Hirn mit valiumanalogen biologischen Wirkstoffen, werde ganz, ganz ruhig, ignoriere das Unmittelbare und rede erst mal von Mittelbarem, aber für den Fortgang der Reise auch ziemlich Spielentscheidendem: „Lieber Andi,“ sagte ich zum Andreas Hess, „wenn wir die Sturmfock morgen noch haben wollen, muss sie jetzt leider runter.“ Der Hess ist als Vordecksmann ein Gigant. Wortlos geht er nach vorne in die fliegende Gischt. Oder eigentlich: Er kriecht. Ungefähr so wie sich die Igel vermehren, und Igel vermehren sich sehr vorsichtig. Gut so. Zeitweise sehe ich ihn bis zur Hüfte im Wasser sitzen. Echter Held, also wirklich. Als die backstehende Fock weg ist, stelle ich mich ans Steuer und lasse mich von den Wellen mit jedem Einschlag mehr auf einen platten Downwind-Kurs dreschen. Nach gefühlten 120 Jahren zeigt die Logge wieder Speed: 2 Knoten, vier, sechs… - irgendwann tunt sich das enervierende Kreischen auf das vertraute Brummen zurück. Wir laufen acht bis 14 Knoten unter nacktem Mast. Immer noch zu schnell. Der Raini Bröthaler erscheint an Deck und mischt sich in den Kriegsrat ein. Ich plädiere dafür, als Seeanker einen der Autoreifen zu wassern, die wir in Bermuda mitgenommen haben. Raini plädiert für eine Leinenbucht und gewinnt: Die Leine nimmt den Surfs den letalen Impact, ohne den Speed nachhaltig zu beschädigen. Sie wird für Tage unser bester Freund werden: Insgesamt laufen wir vier Tage unter nacktem Mast, mindestens 24 Stunden davon mit Leinenbremse.

"Kong is King
Wave-battered Wharram cat – incredible footage, looks like Kong Kong walked the deck in anger…"

Der Andi Hess ist ein ganz Genauer. Gut so, denn einen ganz Genauen braucht es in jeder Crew. Ich meine, dass er irgendwann unbemerkt meine Reisenotizen von früheren Törns und meine Segel- und Funkscheine aus der Lade geholt und einzelweise abfotografiert hat, ist vielleicht ein bissl unsensibel und intrusiv, \u00A0und empfindlichere Naturen als ich hätten einen bleibenden Grant davongetragen, wegen Verletzung der Privatsphäre und so,\u00A0 und bei nächster Gelegenheit werd ich wohl ein Schloss auf meine Laden tun, aber es hat halt alles im Leben ein Preisztterl, und dass man einen ganz Genauen an Bord hat, ist wirklich wertvoll. Speziell für mich, der ich dazu neige, bissel autistisch die höheren Probleme von Wetterlage, Schiffsstruktur und Strategie zu wälzen, den Tagesbetrieb zu vor sich hin laufen zu lassen und mich erst einzumischen, wenn etwas Bedrohliches am Horizont erscheint. Jedenfalls – der Andi checkt meistens als Erster, wenn was falsch ist oder fehlt. Im ersten Morgenlicht nach einem Frontdurchgang checkt er dann auch als Erster, dass die Mother Ocean keinen Laufsteg mehr über dem vorderen Netz hat. Wir hatten die bewährte, aber sperrige Passarella drauf gebunden, und das war ein Kunstfehler, denn das vordere und hintere Drittel eines Wharram sind entweder wasserdurchlässig – oder Toast. Und die Passarella war eben net wasserdurchlässig. Jetzt sieht sie aus, als hätte King Kong auf ihr Flamenco getanzt. Und der Steg darunter auch. Trümmerbruch nennen das die Mediziner, glaub ich. Ähnlich schaut es am Heck aus: Eine Welle hat das hochgeholte Ruderblatt der Selbststeueranlage getroffen und das solide Nirostarohr dahinter bis zur Unkenntlichkeit verbogen. Ein zweiter Einschlag holt es in derNacht darauf endgültig ab. Ich zucke resigniert die Achseln und schaue zum nächsten anrollenden Wellenkamm hinauf: Ist erzieherisch, die Begegnung mit einer wirklichen See. Zum ersten Mal sechs Meter sehen relativiert jede Viermeterwelle. Acht Meter relativieren sechs. Und irgendwann sagt mir der Raini Bröthaler, dass er beim jüngsten Frontdurchgang letzte Nacht eine Viertelstunde lang einen satten Zehner erlebt hat: Durchgehend weißes Wasser im Mondschein und rechne Dir die Welle aus. Mother Ocean nimmt´s, solange man sie downwind hält, wie ein geduldiger Esel, schwimmt wie ein Korken und fährt wie eine Diesellok. Nur bitte, bitte, nicht nochmal querschlagen- und nie wieder ein Wasserhindernis aufs Vor- und Achterdeck. Verspreche ich mir. Und halte ich wohl auch, denn vergessen werde ich diese Bilder nie mehr.

"Moonshine Sailing
Beautiful footage of Wharram ghosting along in light night breeze – sadly no sounddtrack: Pink Floyd would be c.o.o.l."

Ich liege seit Stunden auf der Seite wie ein alter Römer beim Gelage, nur dass es weder Wein gibt noch in Honig gebratene Schweinskaldaunen. Mein Blick rotiert im Zehnsekundentakt zwischen dem Vorliek des Yankees, dem Kompass und dem Speed to Target auf dem grünlich leuchtenden GPS-Display: 2,8… - 3,1… -2,4… Rundherum glitzert der Atlantik im Mondlicht, und hätten wir´s net so scheisseilig, es wäre unbeschreiblich schön. Aber der Andi und der Werner müssen ihre Flüge erwischen und vor zwei Tagen sind wir leider mit voller Fahrt in das sich derzeit unaufhörlich ausbreitende Azorenhoch gelaufen. Seither kreuzen wir gegen flaue Ostwinde. Etmale um 70 Meilen werden wie Siege gefeiert und es könnt schlimmer sein, es könnte schneien. Naja. Die Anderen schlafen, ich quetsche jede Kabellänge aus dem Schiff und fühle mich nervöser als in der schlimmsten Sturmnacht. Auf vereinzelten Wolken im Osten spiegelt sich ein gelblicher Lichtschein. Das ist Flores, die westlichste Azoreninsel. Sind wir morgen dort? Übermorgen? Irgendwann lösen mich der Werner und der Bröthi ab und als ich aufwache, haben wir Flores schon passiert. Sie bewegt sich doch…

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