Spirit of Freedom

Kriminalstück. Eine entführte Charteryacht, die vom Erdboden verschluckt zu sein scheint, ein reuiger Täter, der in Haft ein Buch über seine Erlebnisse schreibt. Rekonstruktion eines verrückten Törns um die halbe Welt.

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Johann Holledauer wollte die Welt umsegeln, doch Vorstellung und finanzielle Mittel deckten einander nicht. Ein gängiges Problem. Unüblich hingegen die Lösung, die sich Holledauer einfallen ließ. Er beschloss, eine Yacht zu „entwenden“, wie er es nennt (unterschlagen hieß es später bei Gericht), wobei seine Wahl nach ausgiebigem Studium der einschlägigen Literatur auf eine brandneue Privilege 465 fiel – wenn schon, denn schon. Noch unüblicher die Tatsache, dass der damals 30-jährige Wiener keine Ahnung vom Segeln hatte, ja noch nie an Bord einer Yacht gewesen war. Dennoch zog er sein Ding durch und charterte mit falschem Pass bei Ecker-Yachting den über 14 Meter langen Katamaran Pantharei.ab Sardinien. Im April 2002 nahm er an einem Skipper-Training teil, um sich mit den Gegebenheiten ein wenig vertraut zu machen, am 24. August verließ er um etwa 23.00 Uhr die Marina auf Nimmerwiedersehen.

Leise entfernte ich das Kabel für den Landstrom und die Gangway. Ich löste an Backbord die Mooring und den Festmacher, schaltete die Navigationslichter ein und startete die Motoren in der Hoffnung, dass meine Nachbarn nichts davon mitbekommen würden. Als Letztes entfernte ich den Steuerbord Festmacher und die zweite Mooring auf derselben Seite. Der Zug der Mooring hatte mich – bevor ich sie lösen konnte – schon aus der Parklücke herausgezogen und ich näherte mich bedenklich schnell der gegenüberliegenden Kaimauer. Beim nächsten Ablegemanöver würde ich sicherlich wissen, dass es die falsche Reihenfolge gewesen war, die Festmacher zu lösen. Aber ich schaffte es noch rechtzeitig, den Steuerbordmotor in Retourgang zu bringen, sodass die Pantharei abgebremst wurde und sich gleichzeitig mit dem Bug in Richtung der Hafenausfahrt drehte. Nun fehlte nur noch etwas Vorwärtsschub mit beiden Motoren und ich setzte mich in Bewegung, die für ein so breites Schiff sehr enge Hafeneinfahrt zu verlassen.
Genau an der engsten Stelle saß in der Finsternis ein Angler, der mich plötzlich mit seiner Taschenlampe anleuchtete. Ob der mitbekommen hatte, dass ich allein abgelegt hatte?
Mir fiel ein Stein vom Herzen, ich hätte die ganze Welt vor Glück umarmen können und alle Anspannung fiel von mir ab. Aber für den Genuss war die Zeit noch nicht gekommen, meine Arbeit hatte jetzt erst begonnen. Mit beiden Maschinen fuhr ich geradewegs hinaus aufs offene Meer. Der Wind war gut und die Wellen wiegten das ganze Schiff angenehm auf und ab. Erst als ich genügend Sicherheitsabstand zur Küste hatte, steuerte ich mit dem Autopiloten genau gegen den Wind, um die Segel zu hissen. Kaum war diese Kursänderung ausgeführt, begann ein wildes Getöse: Der Wind und die Wellen, die eben noch so angenehm gewesen waren, kamen nun genau von vorn. Jede Welle hob das Schiff vorne hoch und ließ es anschließend in das folgende Wellental abstürzen. Jetzt aufs Vorschiff zu gehen und im Dunkeln die Segel zu hissen würde nicht ganz so leicht sein, wie ich das bisher nur bei ruhiger See und bei Tageslicht beobachtet hatte. Um mehr Sicherheit zu bekommen, griff ich mir ein Gurtzeug und versuchte den Mast zu erreichen.
Bevor ich das Großsegel hissen konnte, musste ich aber noch das Kajütendach und das Bimini erklimmen, um den Lasybag zu öffnen, in dem das Segel verstaut war. Endlich hatte ich das soweit geschafft – aber nicht, ohne zweimal über die Leinen des Gurtzeuges gestolpert zu sein –, ich konnte mich daranmachen, das Hauptsegel hochzuziehen. Schnell hatte ich die richtige Fall herausgefunden und um die Winde gelegt, als ich auch schon den Schalter für die Elektrowinde betätigte, alles genau so, wie ich es beobachtet hatte. Im Gegensatz zu meinen Beobachtungen bewegte sich aber hier und jetzt nichts. Da stand ich nun am Vorschiff, das von jeder einzelnen Welle hochgehoben und wieder fallen gelassen wurde. Bereits völlig durchnässt von der aufgewirbelten Gischt, die bei jedem Aufsetzen in ein Wellental vom Wind über das ganze Deck getragen wurde, klammerte ich mich am Mast fest, um nicht über Bord zu gehen.
Irgendwo in meinem Hinterkopf hatte ich abgespeichert, dass es für die Elektrowinden einen Hauptschalter geben müsste, den es erst einzuschalten gilt und den ich am Navigationsplatz im Salon finden würde, aber wo da genau?
Auf dem Weg in den Salon legte ich eine Bauchlandung par excellence hin. Wieder einmal war ich über die Leinen des Sicherheitsgurtes gestolpert, was mich zu der Einsicht brachte, dass dieses verflixte Ding für mich mehr Gefahr bedeuten würde als die heftigste Bootsbewegung. Dieses Thema war also besprochen und ich legte diesen Sicherheitsgurt meiner Sicherheit zuliebe ein für alle Mal ab.
Der Hauptschalter für die Winden war in der Fülle der Schalter aber nicht so leicht zu finden, erschwerend war außerdem, dass ich in der Eile kaum fähig war, die englischen von den französischen Beschreibungen auseinander zu halten und so schon bald gar nichts mehr verstand. Aber wo ich die Handkurbel finden würde, das wusste ich noch.
Die Kurbel funktionierte auch und ich begann das Großsegel hochzuziehen, was anfangs auch klappte, aber auch nur anfangs. Bald zog ich an der Kurbel mit aller Kraft, bewegen ließ sie sich aber nicht mehr und das Segel war gerade mal zu einem Drittel oben.
Mit sich anbahnender Verzweiflung klammerte ich mich nun schon wieder an alles Haltbietende. Während ich von der Gischt geduscht wurde, versuchte ich zu ergründen, was falsch gelaufen sein könnte.
Die Ursache des Übels war bald ausgemacht: Am Achterliek des Großsegels hatte sich das Ende einer Segellatte in den Lasyjacks verfangen. Das war also noch etwas, auf das ich künftig achten müsste.
Umso schöner war das Erfolgsgefühl, der Triumph, es dann tatsächlich geschafft zu haben diesen unglaublich großen Lappen hochgezogen zu haben.
Ich hatte dann nichts anderes mehr zu tun als wieder auf Kurs zu gehen, worauf das wilde Gebaren des Schiffes augenblicklich endete. Die Genua zu setzen war schon um vieles einfacher, wenn mit der Kurbel auch nicht ganz so einfach, wie das mit den elektrischen Winden gewesen wäre. Jetzt war der spannendste Moment gekommen, es wurde Zeit die Motoren abzuschalten, um herauszufinden, ob ich auch tatsächlich vom Wind angetrieben werden würde. Zwar war mir klar, dass dem so sein würde, aber zu erleben, dass es auch wirklich so war, war ein erhebendes Gefühl.

In Cecina an der toskanischen Küste nahm Holledauer zwei Freunde auf, die ihn für den Eigner der Yacht hielten, und segelte mit ihnen entlang der afrikanischen Küste nach Süden. Ab Dakar war er allein auf dem Kat, er rundete das Kap der Guten Hoffnung, tauchte in die Roaring Fourties ein und überquerte den Südindischen Ozean.

Der Sturm legte noch deutlich zu und langsam aber stetig wurden auch die Wellen immer höher und steiler. Ich verkleinerte die Genua abermals, sodass kaum noch die Fläche eines Badetuches als Segel fungierte. Allein vor Top und Takel zu laufen und dennoch mit zehn Knoten unterwegs zu sein, war beängstigend genug. Ständig wurden aber auch die Wellen nicht nur höher, sondern auch noch steiler.
Am Steuerstand stehen und die Windgeschwindigkeit beobachten, die nun bei 65 Knoten scheinbaren Wind an Bord lag und in der Spitze bis zu 70 Knoten erreichte – was etwas mehr als 145 km/h entspricht –, war noch möglich. Allerdings hätte ich nicht den Fehler machen dürfen, einen Schritt seitlich aus der windgestauten Zone unter dem Bimini Top herauszutreten. Mit einem Mal wurde ich von einer nicht für möglich gehaltenen Gewalt erfasst und nach vorne gedrückt. Dabei hätte ich beinahe abgehoben, hätte ich nicht im letzten Moment ein Gestänge des Bimini Tops zu fassen bekommen.
Es war unglaublich, langsam begann ich zu realisieren, mit welcher Gewalt hier der Sturm tobte.
Auch die Geräuschkulisse hatte eine bis dahin mir noch unbekannte Lautstärke angenommen. Der Sturm heulte, vom Rick her kreischte und pfiff es, das Bimini Top flatterte an allen Enden, zwar nur minimal, dafür aber in sehr hohen Tönen, und als wäre das alles noch nicht genug, war als schlimmste aller Lärmquellen der Generator zu hören, der alles daran zu setzen schien, seine Konkurrenten zu übertönen.
Mein Kielwasser erinnerte mich an das der Fähre, mit der ich nach Sardinien gefahren war.
Immer wenn eine der Wellen – die schon eine mehr als beunruhigende Höhe erreicht hatten – mich endlich bis auf den Kamm hochgehoben hatte, begannen die oberen ein bis zwei Meter der Welle zu brechen, was mit einem Zittern und Grollen von der Bodenplatte der Brücke ausgehend verbunden war.
Bald fühlte ich mich wie in einer überdimensionalen Halfpipe. Von einem Wellengrad bis zum nächsten waren es sicherlich um die dreihundert Meter, dazwischen tat sich ein weites Tal auf, das es zu durchlaufen galt. Nur dass diese Geländeform, um einiges schneller als ich, einfach unter mir durch lief.
Im Salon stehend blickte ich nach vorne. Jedes Mal, wenn ich wieder ganz oben auf einem Wellengrad war, hatte ich einen Ausblick, als stünde ich auf dem Gipfel eines Berges, um mich auf eine Abfahrt vorzubereiten. Mit derart hohen Wellen hatte ich wirklich nicht gerechnet. Es war faszinierend und beängstigend zugleich, was ich hier gleich am ersten Tag als Willkommensgruß erleben musste. Wenn schon der erste Tag mich mit solchen Extremen heimsuchte, was würde ich dann die nächsten fünf Wochen noch alles erleben müssen?

Am 8. Dezember 2002, 108 Tage nachdem er in Sardinien abgelegt hatte, erreichte Holledauer Thailand, das er von früheren Aufenthalten gut kannte; in Patong versuchte er, sich als Anbieter von Tageschartertouren für Touristen eine Existenz aufzubauen. Im April 2003 wurde die bislang verschollene Yacht aufgespürt. Noch ehe er von der örtlichen Polizei festgenommen werden konnte, kehrte Holledauer nach Wien zurück und stellte sich den österreichische Behörden. Er wurde zu vier Jahren Haft verurteilt und im April 2005 wegen guter Führung zur Bewährung entlassen. Im Gefängnis schrieb er das Buch „Spirit of Freedom“, aus dem die beiden Leseproben stammen. Diktion, Schreibweise und inhaltliche Ungenauigkeiten wurden dabei unverändert übernommen.
*

Als absoluter Segelneuling allein in einem 46-Fuß-Katamaran gegen Wind und Strom nonstop von Sardinien nach Thailand zu segeln – eine Gewalttour, mit der niemand gerechnet hatte. Man vermutete vielmehr, Holledauer würde es in die Karibik ziehen, dem entsprechend gestalteten sich auch die Nachforschungen. Über eine Agentur wurden 3.500 Marinas im Mittelmeer benachrichtigt, im Yachtclub des Panama-Kanals hingen Fahndungsplakate, sogar Wettersatelliten-Fotos versuchte man auszuwerten. Vergeblich. Enttarnt wurde Holledauer letztlich durch einen seiner Mitsegler, der den Tipp gab, Yacht und Täter in Thailand zu suchen.
Heute lebt Johann Holledauer in Wien und arbeitet daran, sein Buch zu vermarkten. In Planung ist eine Übersetzung ins Englische und Französische sowie die Verfilmung des Stoffes durch eine deutsche Produktionsfirma. Holledauers größter Wunsch ist es, wieder eine Yacht zu besitzen und damit über die sieben Meere zu segeln. Erfüllen will er sich diesen Traum diesmal auf legalem Weg, beteuert er.

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