Die Zeit im Spiegel der See
Eine Reise zu den Ursprüngen der Yachtrevue und der europäischen Kultur, unternommen anlässlich der Gründung dieses Magazins vor 40 Jahren
Die RAF überzieht die Bundesrepublik Deutschland mit Terror. Jimmy Carter wird als Präsident der USA angelobt. Shakira wird geboren. Die Yachtrevue wird gegründet. Das war 1977. Da schauen wir Männer der ersten Stunde ziemlich alt aus. Männer, denn Frauen gab es damals nicht. Heute haben die Frauen eine eindrucksvolle Übermacht in der Yachtrevue-Redaktion. Soll keiner sagen, alles wird schlechter.
Nicht alles wurde besser in den letzten 40 Jahren. Dem olympischen Motto „schneller, höher, stärker“ ist die windgetriebene und wassergestützte Glaubensgemeinschaft aber erstklassig gerecht geworden. Schnellere Schiffe (Foils!), höhere Salons (wer redet noch von „Stehhöhe“?), stärkere Männer unter fliegenden Drachen, auch stärkere Frauen. Der Wassersport in den Siebzigerjahren war freilich benachteiligt. Er musste im Vergleich zu heute mit einem technisch wackeligen Unterbau auskommen. Die Yachtrevue wackelte wacker mit.
Was damals nicht alles auf den Seen und auf der See in Erscheinung trat und die Welt erstaunte! Wir testeten Tandem-Surfboards am Gardasee, den Rohbau eines Sperrholz-Microtonners aus der Werft Korneuburg im Salzkammergut, ein schwimmfähiges Eissurfboard auf der Alten Donau. Was haben wir gelacht! Und wie sind wir nicht im Dienste der Leser und aller nautischen Wissenschaften an unsere Grenzen und darüber hinaus gegangen. Häufig auch geschwommen.
Beim Microtonner-Segeln am Attersee wären wir fast erfroren, weil es Februar war und der Sensationstest keinen Aufschub duldete. Am Gardasee wären wir fast verhaftet worden. Wegen optischer Umweltverschmutzung. In den damals modernen Trockenanzügen sahen unsere Testpiloten aus wie Bib, das mollige Männchen von Michelin. Die Eleganz der Erscheinung zweier solcher Gestalten auf einer sechs Meter langen Planke ließ zu wünschen übrig, war aber dernier cri. Und in der Alten Donau sind wir bis zum Gabelbaum versunken, weil das Eis zu dünn war. Das Brett schwamm losgelöst von seinem Mastfuß vorzüglich. Eissurfen konnte man damit schlecht, eigentlich nur, wenn kein Wind war. Bei Wind brach das Teil in alle Richtungen aus und beförderte seinen Piloten ganz unvermeidlich auf die Schnauze oder sonstwohin.
Gibt es heute alles nicht mehr. Würde heute keiner mehr tun.
In den ganz frühen Jahren reiste die Yachtrevue-Redaktion nur selten ferner als bis zum Plansee („Der beste See mit dem besten Wind“, eine zeitgenössische Behauptung). Wie auch und wohin auch? Redaktionsschiff gönnte man uns damals wie heute nicht, und das Charterwesen war noch ein zartes Pflänzchen. Auf dem Feld einer aufkeimenden Wassertourismus-Wirtschaft sprossen auch allerlei unbekömmliche Gewächse. Es waren Vercharterer im Geschäft, die ihren Kunden Schiffsruinen voll krabbelnder kleiner Lebewesen zumuteten, deren Yachten gar nicht existierten oder an der Kette lagen. Auch das Chartergewerbe ist besser geworden. Viel besser.
Als eine der ersten Meeresecken suchte die Yachtrevue zum Zweck einer Revierreportage den Golf von Kos auf. Heute, in Zeiten mit so viel höheren Ansprüchen an korrekte Benennungen, würden wir natürlich über den Golf von Gökova schreiben. Gökowas? Um eine Idee zu kriegen, wo das liegen könnte, hätte man sich damals feines Kartenwerk besorgen müssen. Internet? Kam lang noch nicht. Computer waren unheimliche Wesen. Man erweckte sie mit Floppy-Discs zum Leben. Unsere ersten Redaktionsrechner rackelten mit acht Megaherz Taktung! Nur dampfgetriebene Modelle wären langsamer gewesen. Auf das Laden einer Seite von Google-Maps hätte man länger als 40 Jahre warten müssen, nur dass es Google noch nicht gab. Doch wer nicht mehr wünscht, als geboten wird, kann sich glücklich schätzen. So stand es in dem Artikel über den Golf. Es gilt noch heute, da wir mit mindestens drei Gigaherz durch virtuelle Welten rauschen.
Lehre von der Langsamkeit
Die Geschichte über den Golf von Kos handelte von einer Welt aus viel Natur, wenigen Menschen und so gut wie keiner Infrastruktur. Zur Illustration: Die ersten ACY-Marinas (das Ypsilon stand für Yugoslavia) wurden 1986 eröffnet. Marinas, Landstrom, Sprit im Golf von Kos? Abseits des Hafens von Bodrum: null. Möglichkeiten um Proviant zu kaufen: nahe null. Möglichkeiten um sonstiges zu kaufen: Schafe, tot oder lebendig. Restaurants auf einer Länge von hundert Meilen Küste: kein halbes Dutzend. Das war Asien und exotisch. Doch es war auch der nächste und vertrauteste Nachbar von Europa, das sich in jener Zeit zu einer großen, neuen Heimat für viele Millionen Bürger zu weiten begann.
Lebhaft erinnere ich mich an einen schönen Nachmittag in einem Restaurant am Kiesstrand. Es war bei Türkevleri, wo heute die Feriensiedlungen in dichten Reihen die Hänge überwuchern, damals aber nur ein paar Häuschen existierten. Mit der Sonne hoch am Himmel fuhren mit dem Schlauchboot vor und erfrischten uns in Erwartung eines späten Mittagessens am freundlich dargebotenen Wasser. Wein? Nein. Bier? Auch nicht. Im Namen des Propheten. Als die Sonne Stunden später sanft die Pinien im Westen küsste und wir doch schon ziemlich Hunger hatten, kam von fern ein Boot gefahren und übergab der Wirtin die uns zugedachten Fische.
So war das damals in einem besonders attraktiven Segelrevier der Türkei.