Der zweite Wanderbrief 2010, welcher handelt von Sheba, Charlene und Riannas Feuerzeug.

Mother Ocean vor Weihnachten

Mother Ocean um die Jahreswende

Unter diesem Vollmond könnte man Zeitung lesen. Ich \u00A0sitze ich auf meiner Werkzeugkiste und kraule Charlenes virbrierenden Bauch. Ihre Schwester sitzt drei Meter weiter auf dem Boden und macht Zickenterror.

Nein, das wird kein Karibikporno, geschätzte Leserin, verehrter Leser:

Charlene und Sheba sind die offiziellen Boatyard-Katzen von Rodney Bay. Sie gehören der theoretischen Chefin der theoretischen Boatyard-Bar. Theoretisch, weil die Bar zwar schon steht, aber die Chefin und das Boatyard-Management seit Monaten über die finanziellen Rahmenbedingungen verhandeln. Das ist lästig für mich, weil mir das Abendbier jedesmal einen halben Kilometer Fußmarsch abverlangt. Und lästig für Charlene und Sheba, die sich im Boatyard mopsen und jeden Abend maunzend zu mir kommen, um sich ihre Krauleinheiten abzuholen.

Ich kraule Shebas vibrierenden Bauch und zünde mir mit Riannas Feuerzeug eine Zigarette an. Rianna ist keine Langhaarkatze. Oder eigentlich irgendwie doch. Und blond! Aber sowas von! Heute Abend beim Sundowner setzte sie sich neben mich, grinste mich an und nahm mir den Aschenbecher weg. Das mit dem Grinsen wär schon in Ordnung gewesen, aber den Aschenbecher hätt ich doch gern… - naja.

Ich mache eine halbe Stunde Smalltalk kurz: Rianna ist seit sieben Monaten als Köchin auf einer kleinen Charteryacht unterwegs, erzählt sie. Wie klein, frage ich. 68 Fuß, sagt sie. Ah.. ja. In der Tat. Wir reden ein bisserl über das Leben als Charterknecht und wie unfair es ist, dass ihr der Käptn immer die Zigaretten wegraucht.

Dann springt sie plötzlich vom Barhocker, sagt etwas atemlos „Just a moment!“ und eilt im Laufschritt davon. Ihren Tequila Sunrise und ihr Feuerzeug lässt sie da. Als sie zwei Bier später noch immer nicht zurück ist, denke ich\u00A0 kurz nach, ob ich was Falsches gesagt habe. Ich mein, verwunderlich wärs nicht.

Weil seit zwei Monaten bin ich von Beruf Holzwurm und vom Erscheinungsbild her Epoxid-Model:\u00A0 Das da in meinem ergrauten Haar sind keine Rastazopferln , das sind Spuren von Kontakt mit frisch eingelassenen Bordwänden und Stringern.

Es ist nämlich so: Der Bröthaler und ich haben anzaht wie die Wagelhund. Eine Woche, nachdem die Mother Ocean an Land abgesetzt war, stand im Schatten zwischen den Rümpfen eine kleine, feine Werkstätte, komplett mit selbst gezimmertem Arbeitstisch. Knapp vor Weihnachten war der hinterste Beam samt den Stehern für die Solaranlage demontiert und alles, was im Backbordhack rott war, rausoperiert, und bitte, das heisst alles bis auf den Steven und die äußere Bordwand.

Drei Wochen später war alles wieder neu und drinnen – 48 Teile hab ich gezählt von den Stringern über die Buttblocks bis zu den Bordwänden. Dann wars Zeit für den Bröthaler, heimzufliegen und in der letzten Woche seines Hierseins haben wir nimmer viel geredet, weil alles ein bisserl atemlos wurde: Einen Beam einsetzen und eine Solaranlage montieren geht nämlich echt nur zu zweit.

Am Panikpunkt waren wir Montag, als wir draufkamen, dass der hintere Beam auch eine großflächige Amputation braucht: Ein Drittel der Substanz flog raus, weil mürbe, und war binnen 24 Stunden durch frisches Holz ersetzt, zurecht geschliffen, eingelassen und am Mittwoch haben wir den Beam eingebaut und die Solaranlage aufgesetzt. Donnerstag hab ich den Bröthaler dann in den Flieger gepackt und jetzt sitzt er daheim, friert sich den Hintern ab und bereitet die Bootsmesse in Tulln vor.

Und ich – ich mach allein weiter und abgesehen von den vielen Neugierigen, die jeden Tag vor dem Boot stehen und mehr oder weniger sachgerechte Fragen stellen, und abgesehen von den Marinahacklern, die gelegentlich zu mir kommen, um sich Werkzeug auszuborgen, und abgesehen vom Boatyard-Boss, der mir immer öfter unverhohlene Avancen macht, doch meine Existenz nach St. Lucia zu verlegen und der Boatyard-Tischler zu werden, hab ich wenig Ansprache. Außer halt Charlene und Sheba.

Könnt also sein, dass ich schon langsam ein bissl kommunikationsschwach werde. Oder vielleicht angefangen habe, \u00A0zu sagen, was ich mir wirklich denke - und das, ohne es zu merken.

Rianna kam jedenfalls nicht mehr zurück, und das macht eigentlich überhaupt nix. Ich hätt eh nix Konkretes von ihr wollen. Im Gegenteil, ihr plötzlicher Aufbruch war bereichernd. Weil erstens hab ich meinen Aschenbecher jetzt wieder für mich. Und zweitens - ihr Feuerzeug hab ich eingesteckt.

Nachsatz: Diesen Wandbrief hab ich gestern Nacht dann nicht mehr abgeschickt, und gut wars, weil heute Früh sah ich Rianna wieder, auf dem Vorplatz der Marina. In hautengem Kontakt mit dem offensichtlichen Grund ihres gestrigen plötzlichen Aufbruches: Geschätzte 25, Unterhosenmodelfigur, rabenschwarze Haut, wilde Rastalocken, und eine klodeckelgroße Hand auf Riannas Hintern. Sie hat, was sie braucht. Ich auch. Ihr Feuerzeug. Meines war grade am Eingehen.

Das Leben ist O.K., schätze ich. Nur das Epoxi in den Haaren, das macht mich echt narrisch.

Weitere Artikel aus diesem Ressort

Ressort Michael Lynns Wharram Wanderbriefe
Bitte, ich liebe französische Skipper. Die können vieles total gut. Essen zum Beispiel, davon verstehen sie was. Rotwein-Experten sind sie auch. Da können wir ihnen nicht das Salzwasser reichen. Aber wenn sie anfangen, Schiffe zu bewegen, sollte man rechtzeitig in Deckung gehen, damit einen nix trifft. Mother Ocean zum Beispiel traf ein Bugsprit. Straight durch ein Fenster über der Pantry. Festgemacht im Packl mit einem südafrikanischen Kat an der Reception Pier in der Marina von Horta, Faial, Azoren. Und jetzt probier mal, ein Fenster aus einem Zentimeter Plexiglas aufzustellen 85 x 25 Zentimeter, mit \u00A0runden Ecken und 24 präzise gebohrten Schraublöchern.









 

I love the French!

Ressort Michael Lynns Wharram Wanderbriefe
Abstürzende Drucklinien - ein Bild von einem Sauwetter auf 39N/60W

Bermuda-Horta: Wir habens geschafft.

Ressort Michael Lynns Wharram Wanderbriefe
Glatze. Platte. Öl. Und das drei Tage lang... - aber so sinds halt, die Rossbreiten.

Tortola-Bermuda: Qual mit Wal

Ressort Michael Lynns Wharram Wanderbriefe
Wer eine hübschere Marina kennt, darf sie behalten...

Nanny Cay, Tortola: Irgendwie total ARC.

Ressort Michael Lynns Wharram Wanderbriefe
BVI´s - sauteuer, aber sie wirken.

St. Lucia-Tortola: 49 Stunden Vollgas

Ressort Michael Lynns Wharram Wanderbriefe
“Some people on this island are crazy like batshit.” Das sag nicht ich, das sagt der Adam. Der Adam ist Brite, nicht unbeträchtlich gehbehindert und trotzdem solo über den Atlantik hierher gesegelt. Jetzt stelzt er mit seinem handgeschnitzten Gehstock durch die Marina, ist freundlich zu jedermann, verstreut trockenen Humor und hat in der Regel Recht.









 

"If it flys, floats or f***s…" - Der ...