Dieter Loibner

Dieter Loibner

Artikel des Autors

Ressort Kein Ressort gesetzt!
Eine Virtual Reality Fishing Machine für Angelfreaks, ein Regenwurmextraktor für Ködersuchende, ein Herzmonitor für die Hosentasche, ein Hotelsafe mit automatischer Gebührenabrechnung, ein frei schwimmender Robotertunfisch und ein Fahrrad mit Wasserstoffantrieb: Auf der Suche nach der Zukunft muss man sich durch manches Kuriosum klicken. Aber wo liegt sie, die Zukunft des Segelns? Und ist sie rosig? Oder grün und nachhaltig? Was heißt überhaupt nachhaltig? Wird der Steyr Hybridantrieb der Toyota Prius fürs Wasser? Oder geht bald eh alles nur noch mit Strom? Werden dann Schmalzl und Frauscher zum Google und Microsoft des Elektroantriebs? Während die großen Bootsfirmen ihre Produktionskapazitäten dem schwächelnden Markt anpassen und Händler wachsende Lagerbestände finanzieren müssen, sind vogelfreie Heinzelmännchen eifrig am Zaubern. Spinner, Träumer, Fantasten – mit wenig Geld aber viel Hoffnung. Wie Jim Harrington in Victoria, in der kanadischen Provinz British Columbia, unweit von Vancouver, dem Austragungsort der nächsten Olympischen Winterspiele. Harrington ist Elektronikingenieur und erfinderischer Tausendsassa, der unter anderem ein Teleskop für die Jupitersonde Ulysses entwickelt hat. Vom Jupiter zum Schiffsdiesel ist es nur ein Katzensprung, erzählt der passionierte Fahrtensegler: „Diesel rauchen, stinken und lärmen. Das ist weder für mich noch die Umwelt gut.” Dann erinnerte er sich an das Apollo Raumfahrtprogramm, das schon anno 1970 Brennstoffzellen verwendete und dachte: „Hmmm …” Es dauerte ein Jahr, bis Harrington und sein Tüftelpartner Ian Soutar die Katze im Sack hatten und einen Elektromurl auf einem 21 Fuß langen Kimmkieler installierten, der nur Wasserstoff für die Brennstoffzellen benötigt. Selbiger wird durch Elektrolyse hergestellt, die den Strom aus Solarzellen bezieht. Eine rundum saubere Sache also, denn beim Betrieb fallen statt Russ, Stickstoff und Kohlendioxid nur Wasser und Wärme ab. Topspeed laut Erfinder ca. 4 Knoten, bei 500 bis 600 Watt (15 Ampere, 39 Volt Gleichstrom). Und knattern tut auch nix. Harrington wurde für diesen Streich unlängst vom Staate Kanada mit einer hohen Auszeichnung bedacht. Bestärkt in seinem Tun bastelte er einen Umbausatz für Außenborder, die damit zu E-Motoren mit 3-Phasen-Wechselstrom (230 Volt) mutieren. Die Teile dafür gibt es über den Ladentisch zu kaufen. Strom für die Batterien kommt von der Sonne oder aus Brennstoffzellen:









 

Zukunftszauberer

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„Länge läuft.” Wer kennt sie nicht, diese quintessentielle Weisheit? Wenn es um Microyachting geht, läuft mit Länge allerdings nix. Das Motto hier lautet: ”Je kürzer, desto besser.” In einer Zeit, in der drei Regatten und ein Rekordversuch um den Globus simultan stattfinden, ist man demente Planung im Segelsport gewohnt. Warum also nicht noch ein Rennen um die Welt, das für Schwimmgegenstände von 10 Fuß Länge gedacht ist? Der Wahnsinn heißt AroundinTen und führt auf der Barfuß-Route einmal rum. Losgehen soll’s am 10. Jänner in den Bahamas. Gemeldete Teilnehmer existieren, aber die meisten gaben schon im Vorfeld auf. Am ehesten könnten es zwei Amerikaner schaffen, Steven Rinker, ein Tischler aus den Wäldern Maines, und Paul Boucher, ein ehemaliger Krankenpfleger von der Küste Westfloridas. Beide frönen dem alternativen Lifestyle und wollen sich den Traum der Weltumsegelung mit Mut und Hoffnung erfüllen. Ihre Untersätze bauen sie selbst. Rinker setzt auf Floating Bear, einen superleichten Doppelender mit Steckschwert und Drachensegel, aber ohne Mast, Kiel und Ruder. Boucher schnitzt sich Flying Frog, eine massive Minidschunke mit Luggersegel, die innen von einem Drahtgerüst zusammen gehalten wird und sich im Fall der Fälle „auf jedem Strand mit Treibgut reparieren lässt.” Beides klingt extrem, passt aber in die lange Reihe jener Jockeys, die auf immer kürzeren Scherzartikeln in See stachen, um unsinnige Rekorde aufzustellen. Wie der Amerikaner Hugo Vihlen, der 1993 auf der 5,3 Fuß (1.63 m) kurzen Father’s Day in 105 Tagen über den Atlantik trieb, oder wie der Frankoaustralier Serge Testa, der mit seiner knapp 12 Fuß (3.6 m) langen Acrohc Australis in vier Etappen und 500 Tagen um die Welt schipperte. Auf diesen Rekord haben es die Teilnehmer des AroundinTen abgesehen. Nicht schneller, sondern kürzer ist besser. „Nach dem Scheitern von Harley Hansens Versuch, die Welt in einem 8-Fuß-Boot südlich der großen Kaps zu umrunden, dachten wir über eine weniger extreme Route nach und einigten uns auf eine Länge von 10 Fuß (3,05 m) für die Boote”, sagt Nick Dwyer, der irische Wettfahrtleiter des AroundinTen, der die Kombattanten mit seiner Stahlketsch begleiten will, „eine Größe für echte Gentlemen.” Und diese Gentlemen organisieren sich basisdemokratisch. Wer seinen Arsch riskiert, so Dwyer, der soll auch die Regeln bestimmen. Das erklärt, warum weder EPIRBs noch Rettungsinseln vorgeschrieben sind. Die sind gut, aber teuer und daher verpönt. „Mein Chef hat $ 5.000 zugeschossen”, erzählt Rinker, „das muss für Boot, Ausrüstung und Verpflegung reichen.” Viel sei es nicht, aber wäre er ein Sponsor, würde er „auch zögern, in diese Sache zu investieren.” Vielleicht, so hofft Rinker, ändert sich das, wenn er unterwegs ist. „Es ist die Herausforderung meines Lebens”, schwärmt Boucher. Dass er dabei wie andere Microsegler vom Klabautermann geholt werden könnte, sei möglich. „Aber ich hoffe, er gewährt mir Galgenfrist”, lacht er. Und wer gewinnt? „Derjenige, der überlebt.”









 

Kleine Boote, großer Wahnsinn

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Da stand sie also, die modernste, geilste und wohl schnellste Rennyacht aller Zeiten. An einer Mole Anacortes, im US-Bundesstaat Washington, nahe der kanadischen Grenze. Umgeben von nautischem Ramsch, rostigen Trawlern, verfallenen Fabriksgebäuden und transportablen Toiletten. Der Tri ist das neueste Hightech-Spielzeug von Larry Ellison, ein dreibeiniges Quadrat mit 27 Metern Seitenlänge. Alles aus Kohlefaser. Etwa 850 m2 Segelfläche am Wind, bis zu 1.200 m2 raumschots. Ein hydraulisch neigbarer Profilmast, der 48 Meter in den Himmel ragt und dem Wind etwa 50 m2 Angriffsfläche bietet. Wär’s nicht ein Schiff, es müsste eine Rakete oder ein Jagdflugzeug sein. Skipper Russell Coutts und Konsorten treten im Fliegeranzug an, mit knitterfreier Kopfbedeckung und eingebauter Funksprechanlage zur Kommunikation miteinander. Statt Fallschirmen haben sie Schwimmwesten umgeschnallt. Am Wasser legt das Gefährt bei Wörtherseewind (maximal 3 Beaufort) mit angezogener Handbremse 25 Knoten vor, Mittelrumpf aus dem Wasser. Das hieße Schlosshotel Velden–Strandbad Klagenfurt in einer halben Stunde. „Das schnellste Boot, das ich je bei Leichtwind gesegelt bin”, sagt Franck Cammas, der weltbeste Trimaranpilot, ehrfürchtig. Und das heißt was, denn Cammas hält mit seinem Megatri Groupama 3 sowohl den absoluten Transatlantik- als auch den 24-Stunden-Distanzrekord. Der Franzose ist Fahrlehrer für den jungen Wilden James Spithill, der zwar auf den Extreme 40-Kats trainiert, aber sonst keine Erfahrung mit Multihulls hat. Ob der Flieger je startet, muss allerdings Justitia entscheiden, denn der Rechtsstreit zwischen BMW Oracle und Alinghi ist derzeit in Berufung. Beim momentanen Stand sind die Spanier und damit Alinghis „Wunschkandidaten” die offiziellen Herausforderer. Tom Ehman, Regelfachmann bei BMW Oracle, will das ändern und hofft dabei auf Richterin Carmen Beauchamp Ciparick, die schon 1988 durch ihren Schiedsspruch ein so genanntes „Deed of Gift Race,” das nicht auf einheitlichen Booten gesegelt wird, ermöglicht hatte. Damals hatte Dennis Conner mit einem Katamaran die Neuseeländer und ihr Riesenkielboot lächerlich gemacht. Sollte es tatsächlich zu einem „Multihull Cup” kommen, würden sich die Kontrahenten dank elend langer Bahnschenkel kaum sehen. Nur wenn sich die Kurse kreuzen, könnte es interessant werden. Denn Fahrfehler machen viel Kleinholz, wenn sich ein Multi mit 30 Knoten in die Seite des anderen bohrt. Ansonsten wär’s wohl zum Gähnen, wie schon 1988. Aber nix is fix, denn Alinghi diskutiert mit den anderen Teams (minus BMW Oracle) einen „stark verbilligten” Monohull Cup für 2010. Meldeschluss ist der 15. 12. Somit spitzt sich die Situation für Larry Ellison zu: Er muss entweder klein beigeben oder auf einen Richterspruch hoffen, der das dreibeinige Quadrat ins Spiel bringt. Ob das gut geht?









 

Das dreibeinige Quadrat

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„Wasser hat einen dünnen Kopf," sagt Wolfram Ainetter, Pensionist und passionierter Segler von 22er-Rennjollen. Diese Erkenntnis ist von den Altvorderen überliefert, die bereits im Pleistozän rustikale Ursachenforschung betrieben und die Probleme kannten, die beim Abdichten von Sautrögen und Holzjollen auftreten: Ein dünner Kopf dringt durch jede Ritze und dieses Kontinenzproblem irritiert Sau wie Segler. Zuhause ist Ainetter in Seeboden am Millstättersee, wo er mit seiner Frau Rita eine Pension führt. Als Bub hat er sein nautisches Handwerk auf einem geklinkerten Ur-22er gelernt, eigentlich ein Sieb mit einem breiten Schwertkasten, in dem kleine Waller wohnten. Ausschöpfen war Bedingung fürs Mitsegeln, somit ist die 22er-Rennjolle eine Jugendsünde, die ihn bis heute verfolgt. Dabei ist er, dem an glänzendem Klarlack, kugelgelagerten Blöcken und knisterndem Dacron wenig liegt, das beliebte Schreckgespenst der Klasse. Heuer trieb er es mit seiner etwas übergewichtigen Brie (Herkunft unbekannt, Jahrgang ca. 1942 bis 44) besonders bunt. Beim Europapokal am Mondsee wurde er nach Yardstick Zweiter, nach Einlauf immerhin noch Vierter. Eine Woche danach versägte er am Attersee nach Yardstick die Konkurrenz bei der Langen Wettfahrt. Ainetter ist der prototypische Antiheld, der von vielen unterschätzt wird, was sich im Gespräch rasch als fataler Irrtum erweist, denn der passionierte Segelflieger kennt sich bestens aus mit Areo- und Hydrodynamik. Natürlich ist er auch mit dem Boot per du, aber seine unkomplizierte, bescheidene Art beschert ihm immer wieder kompetente Helfer vor dem Reitbalken, damit er sich aufs Steuern konzentrieren kann. Denn Ainetter weiß: Ein falscher Schlag oder eine versaute Wende kosten mehr, als neue Segel und coole Hardware bringen. Angesprochen auf die kognitive Diskrepanz zwischen den funkelnden Gucci-Kisten und der eher fundamentalen Brie (keine Backstagen, Gartenschläuche als Wantenschoner, Reffbändsel im Groß), meint er, man solle „nicht alles tierisch ernst nehmen.” So hat er einmal einen 22er zum Jollenkreuzer mit Kiel umfunktioniert und ein andermal seinen Mast mit Kupferdraht umwickelt, weil sich die Leimnähte beim Transport aufgelöst hatten. Damit ist er dann auf einen Mittelfeldplatz gesegelt. Ruhiger sei er geworden, sagt Ainetter. Halsbrecherische Crashes samt batman-ähnlichen Abflügen im Hubertusmantel, die er mit seinem hausgemachten Eissegler am zugefrorenen Millstättersee hinzulegen pflegte, seien passe. „Im Alter versackt die Muskulatur,” konstatiert er, „deshalb wird man immer mehr zum Fischer.” Will er trotzdem noch segeln? „Klar, denn auf der 22er kann ich das Groß so hoch setzen, dass ich mich bei der Wende nicht bücken muss.” Schwere Zeiten für die Klasse. Und dazu noch das Wasser, das einen dünnen Kopf hat.









 

Der Antiheld

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„Daddy, sailing sucks*!” Also sprach die Tochter, am Steg sitzend mit Eisbeutel am Kopf. Es war der befürchtet schwierige Auftakt zum Experiment Segelkurs. Olivia, ganze 8, aber keck wie ein Teenager, bringt die Sache auf den Punkt. Großbaum, Beule, Erniedrigung. Depperter Opti. Die Kiste will nicht so, wie sie sich das vorstellt. Und dann noch der peinliche Vater, der das Leid dokumentiert. „Muss das sein?” Ja, es muss. Warum tu ich uns das an? Falscher Elternehrgeiz? Apfel zu weit vom Stamm? Oder gar zu nahe? Hat sie zu wenig Ausdauer? Kein Talent? Die Zeit wird Klarheit schaffen. Eigentlich mach ich mir wenig Sorgen, ob die Tochter Seglerin wird. Das Interesse wird mit dem Spaß und dem Stolz über das Erreichte kommen. Warum also das Theater? Es handelt sich um einen didaktischen Schachzug, weil Olivia von der Genetik mit Geduld nicht gesegnet wurde und mit der Instant Gratification Generation aufwächst, frei nach dem Motto: „Ich will alles und zwar sofort.” Ein Segelkurs, in dem die Kids ihre Kisten selber aufriggen und zu Wasser bringen müssen, ist dafür die ideale Therapie. Sie muss sich mehr anstrengen als in der Schule und kann die Früchte der Arbeit erst später ernten. Oder gar nicht, wenn sie die Segelei bleiben lassen sollte. Das Augenmerk des Kurses liegt auf Hands-on-Kompetenz und die erlangt man bekanntlich nur durch Praxis. Zwischendurch gibt es Knotenkunde, einfachste Theorie und Kentertraining, aber Lehrbücher, Paukerei oder gar Auswendiglernen stehen nicht an. Da bleibt keine Zeit zum Analysieren oder Jammern. Einfach machen. Für Kinder, die heutzutage (zu) viel Zeit mit fantasielosen, aber bis ins Detail strukturierten Tätigkeiten zubringen und dabei von Erwachsenen auf Schritt und Tritt beaufsichtigt werden oder dem Diktat von Bildschirm und Joystick verfallen sind, ist Segeln nicht nur Therapie sondern auch wertvolles Kontrastprogramm. Instruktion ist nur der Anfang, auf Perfektion stoßen sie selber – oder auch nicht. Es gibt keine Interpretation der Regeln, es gibt keine von Menschen programmierten Algorithmen, nur den Dickschädel der Natur. Wer nicht weiß, woher es weht, weiß auch nicht, wohin es geht. Um die Erfahrung zu optimieren, müssen die Lernenden eine Symbiose von Kraft, Geschick, Gefühl und Wahrnehmungsfähigkeit verinnerlichen. Viel vom einen und nix vom anderen ist zu wenig. Das hat Olivia auch bemerkt, nachdem Zorn und Schmerz nachgelassen haben. Nach einer Nachdenkpause gesteht sie: „Segeln ist eigentlich okay. Ein bisschen zumindest.” Und am Ende lernt sie womöglich noch, wie man Spaß daran hat. Halleluja. * Papa, Segeln ist beschissen!









 

Nicht für die Schule soll sie lernen

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Segelfreunde und jene, die zu solchen alle vier Jahre mutieren, blicken im August nach Qingdao. Im Medaillen-Hype vergisst man gern, dass auch noch andere anderswo segeln. Unbekannte, aber nicht Uninteressante. Systemerhalter, die den Sport stützen. Bradley Cameron verdient sein Geld auf der Straße. Trucker ist er und ausgeben tut er seine Kohle fürs Segeln. Wären alle wie er, könnte die Branche ruhig schlafen. Sechs Boote in 12 Jahren sind ein guter Schnitt. „Beim Fahren”, sagt Cameron, „hab ich Zeit, über Verbesserungen nachzudenken und Regatten zu analysieren.” Leuchtet ein, ein Sattelschlepper ist ja fast wie ein Schiff. Dabei hatte die Segelei ihn am Anfang gar nicht lieb. Er wuchs auf einem Boot auf und als er sechs war, wollte die Familie von San Francisco nach Hawaii. Gebrochene Backstagen, kaputtes Ruder, Leck im Wassertank, Sturm und Kotzen ohne Ende ruinierten den Spaß an der Freud. Die Umkehr wurde zur Abkehr vom Leben auf See. Nach dem Tod der Mutter ging Cameron mit 17 nach Mississippi, doch bald holte ihn Heimweh zurück nach Kalifornien. Das Hackeln am Bau war trist, die Wiederentdeckung des Segelns auf einer J24 ausgleichende Gerechtigkeit; bald war er Flottenmeister. Dann kreuzte eine Frau in sein Leben, die er auf Törn mitnahm. Der Kompatibilitätstest funktionierte, Debbie ist heute Frau Cameron. Kinder gibt’s keine, aber zuerst einen Tornado, später eine Force 5 (ein Laserverschnitt). Motto: Speed ist nass und nass macht Spaß. Das machte Appetit auf Red Stripe, einen gealterten 30-Füßer, der noch Substanz hatte. Leute, die beim Renovieren halfen, waren auch beim Segeln erste Wahl, und alles lief bestens. Bis der Wahnsinn das Ruder übernahm, bei einer windigen Pimperlregatta auf der Bay. Der Spi stand, das Boot flog, und der nahende Schlepper mit Schotterkahn war Nebensache. „Klar zu Halse!” befahl Brad voll Selbstvertrauen, doch am Bug brach Chaos aus. „A classic clusterfuck”, gefolgt von extremer Schräglage. Vorne der Kampf mit Nylon, Nerven und nackter Angst, hinten Festhalten, Fluchen, Hoffen. Im letzten Moment kam der Fetzen runter. Der Schlepper passierte vorne, der Kahn hinten. „Das Schleppseil hing weit durch und irgendwie kamen wir davon, ohne uns umzubringen.” Red Stripe wurde gegen einen 25-Fuß-Backdecker getauscht, denn Cameron wollte immer noch nach Hawaii. Die Idee, auf dieser Kiste die 2.100 Meilen dorthin solo im Renntempo zu segeln, blieb ein solche, Debbie sei Dank. Ersatz ist schon gebucht: Contender-WM am Ontariosee, wo 1976 um olympisches Metall gesegelt wurde. Das fügt sich bestens. „Boot, Klasse und Leute sind meine Kragenweite”, sagt Bradley Cameron. Erwartungen für die erste WM seines Lebens? „Top 50 und ich bin happy.” Ein Held wie wir eben.









 

Ein Held wie wir

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Was weiß ich über 1908? Opa war 16. Der Kaiser war 60 Jahre im Amt. Österreich-Ungarn annektierte Bosnien-Herzegowina. Egon Schiele stellte erstmals aus. Die Lusitania überquerte den Atlantik in 4 Tagen, 20 Stunden. Und Olin James Stephens II. wurde am 13. April geboren. Lange ist das her und viel ist seitdem passiert, doch nun sitzt er vor mir, umringt von Computerbildschirmen in seinem eleganten Arbeitszimmer in Hanover, New Hampshire: In Ehren gealtert, bewaffnet mit Hornbrille und diskretem Hörgerät, aber auch mit einem Verstand, der auf meine Fragen messerscharfe Antworten produziert. Ganz so, wie man es schon immer kannte, vom vielleicht bedeutendsten Yachtkonstrukteur des 20. Jahrhunderts. Aufgewachsen in der Umgebung von New York, war er früh von Booten fasziniert. Designer wie Clinton Crane, John Alden oder Nat Herreshoff hatten großen Einfluss, doch noch viel mehr war er beseelt vom Wunsch, der Beste zu sein. „Ich hatte Glück, denn ich hatte ein Ziel: Ich wollte immer schnelle Boote entwerfen.” Glück hatte er auch, Drake Sparkman kennen zu lernen, den erfolgreichen Yachtbroker, mit dem er und sein Bruder Rod 1929 die Design- und Brokerfirma Sparkman & Stephens gründete. Olin entwarf, Sparkman verkaufte und Rod machte die Qualitätskontrolle. Dorade, Stormy Weather und Legionen von anderen eleganten Schiffen entstanden auf den Zeichenbrettern von S&S. So manche gibt es heute noch, als perfekt restaurierte Klassiker, betuchter Klientel gehörend und gerne bei exklusiven An\u00AClässen ausgestellt. Dann die legendären America’s-Cup-Verteidiger: Die J-Klasse Ranger, die er gemeinsam mit Starling Burgess 1937 entworfen hatte, und nach dem Zweiten Weltkrieg die Zwölfer, die den Cup von 1958 bis 1978 dominierten. S&S war auch am Aufstieg der Swan-Werft beteiligt, die ganz am Anfang einen ihrer Eintonner in Serie bauten. So ein Schiff wollte auch ein gewisser Edward Heath haben. Mr. Heath, der später englischer Premierminister wurde, war ein treuer S&S-Kunde und gewann 1971 mit dem englischen Team den Admiral’s Cup. Als Dank lud er Olin zum Bankett bei Präsident Nixon ins Weiße Haus ein, das anlässlich seines Staatsbesuchs gegeben wurde. „Mr. President, dies ist der Mann, auf den es ankommt”, waren Heaths Worte, mit denen er Olin vorstellte. Am Ende meines Besuchs lade ich Olin Stephens zum Abendessen ein. „Gute Idee, junger Mann. Ich schicke noch schnell eine E-Mail nach Neuseeland, denn dort halte ich demnächst einen Vortrag.” Dann erhebt er sich vom Schreibtisch. Leicht nach vorne gebeugt, aber ohne Gehhilfe geht er hinaus, schlüpft in seine Jacke und öffnet die Tür zum Treppenhaus. „Lift?” frage ich. „Ach was, der ist für alte Leute.”









 

Eine hundertjährige Legende

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”Meinen Dank an den Mehrrümpfer, der von 1976 bis 2008 im olympischen Programm war – es tut uns leid, uns von diesem Freund zu verabschieden.” So sprach ISAF-Präsident Göran Petersson. Der Kat hat seine Schuldigkeit getan, der Kat kann gehen. Skibewerbe ohne Abfahrtslauf? Leichtathletik ohne 100-Meter-Sprint? Undenkbar. Olympia ohne Kats eigentlich auch, aber aufgrund des drehenden politischen Windes blieben der Mehrrumpfbewerb und damit auch der Tornado bei der Abstimmung über die olympischen Segelbewerbe 2012 in einem Flautenloch hängen. Wenn hinter den Kulissen kein Wunder passiert und die ISAF den Beschluss unter dem Druck der Katlobby nicht rückgängig macht, ist olympisches Segeln auf zwei Rümpfen bis auf Weiteres Geschichte. Als Kind der sechziger Jahre erlaube ich mir, dem Tornado eine nostalgische Träne nachzuweinen. Nicht der “Anabolikaversion” mit Doppeltrapez, Gennaker, und Kohlefasermast, die den Profis alles abverlangt. “Einmal packen wir’s noch, dann ist Schluss”, sagte John Lovell, der mit Charlie Ogletree 2004 in Athen hinter Hagara/Steinacher für die USA Silber holte. “Schließlich sind wir beide schon 40.” Schon 40? Fängt der Spaß da nicht erst richtig an? Mein Herz schlägt für den Ur-Tornado, ein Schiff, mit dem Paul Elvström mit 55 Europameister wurde und mit Tochter Trine ein Jahr später, bei den Olympischen Spielen 1984, beinahe noch eine Medaille holte. In unseren frühen Segeljahren war ein Holztornado integraler Bestandteil des Familienprogramms. Ob bei Flaute am See oder bei Maes?tral im Pas?manski Kanal, unser Sperrholzbomber war kugelsicher und allem gewachsen. Im Vergleich zu den Boliden, die Hagara & Co heute pilotieren, war’s ein Ford Model T. Doch unsere Auftritte hatten stets Unterhaltungswert, wie z. B. der erste Zusammenbau auf der Clubwiese, unter argwöhnischer Betrachtung der Agnostiker: „Woa, zwa Kuf’n! Bricht de Kist’n nit glei ausanonda?” (Die WM-Titel von Robert Jessenig und Hans Polaschegg 1972 und 1974 brachten Licht ins Dunkel.) Dazu gab es Tagesritte von Biograd in die damals noch fast unberührten Kornaten. Regatta bin ich auch gesegelt. Einmal. Bequem. Souverän. Ledero*. Bald kamen andere Boote, aber keines, das ich mit so unbeschwerten Erinnerungen assoziiere wie den Holztornado, der anfangs kaum ernst genommen wurde. Trotzdem wurde die Klasse später eine der stärksten im Club und das seglerische Aushängeschild der Nation. Jetzt scheint sich dies zu ändern. Aber so wie unsere „Kist’n mit zwa Kuf’n” nicht auseinander gebrochen war, geht’s auch für den Tornado weiter. Mit oder ohne Olympia.









 

A Kist’n mit zwa Kuf’n

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Ich geb’s ja zu: Ich bin ein suburbanes Weichei. Ich wohne am Berg mit Blick nach Westen. Will ich Brot und ein Sechsertragerl, muss die Karre aus der Garage. Dafür hab ich WiFi, HiFi und HDTV. Und einen Appetit auf Gefahr aus zweiter Hand. Risiko ist cool, solange andere Kopf und Kragen riskieren und die Kamera dabei mitläuft. Dabei ist’s gar nicht solange her, dass die wahren Abenteuer im Kopf waren, genährt von spärlichen Berichten über Chichester, Tabarly oder Moitessier, die alleine den Ozeanen trotzten. Ohne Satellitentelefon, mit dem sie in den Roaring Forties den Abschleppdienst hätten rufen können. Damals reichte es noch, alleine loszusegeln und anzukommen. Heute muss dabei schon ein Rekorderl rausschauen, sonst will keiner zuschauen. Dem Börsenhändler Steve Fossett waren Risiko und Rekorde ein Lebenselixier. Unter seinen 116 Bestleistungen finden sich die schnellsten Erdumrundungen, per Ballon, per Flugzeug und unter Segeln. Nun wollte er auch der Schnellste zu Lande sein. Doch Anfang September wurde dem 63-Jährigen ein Routineflug zur Erkundung einer geeigneten Strecke in der Wüste Nevadas zum Verhängnis (siehe YR 10/07). Weder Wrack noch Leiche wurden bisher gefunden. „Das Bedürfnis nach heldenhafter Transformation ist tief in der Psyche verankert”, sagt C. Robert Cloninger, Professor für Psychiatrie und Genetik an der Washington University in St. Louis. „Solche Leute sind im Konflikt mit sich selbst und ihrem Leben, das sie ablehnen. Wenn sie in die Wildnis oder aufs Meer hinausgehen, tun sie das in der Hoffnung auf Läuterung.” Ein fatales Ende dieser Läuterung ist der Klimax fürs p. t. Publikum, aber auch eine Enttäuschung, weil damit die Show zu Ende ist. Fossett ist nur ein Beispiel. Steve Irwin, der australische Krokodiljäger, der für seine TV-Show Alligatoren in den Schwitzkasten nahm, wurde beim Fischen von einem Stachelrochen tödlich verletzt. Timothy Treadwell, der exzentrische Aktivist, der unter Grizzlys campierte, behauptete einen Weg der Koexistenz gefunden zu haben. Die Bären hielten nichts davon und zerfleischten ihn und seine Partnerin kurze Zeit später. Studienabgänger Christopher McCandless suchte in der Wildnis Alaskas spirituelle Wiedergeburt und verhungerte nach wenigen Monaten. Und dann war da noch Donald Crowhurst, der sich den Sieg bei der ersten Golden Globe Regatta 1969 erschwindeln wollte. Weil weder er noch sein Boot mithalten konnten, hielt er sich im Südatlantik versteckt und ließ die anderen um den Erdball segeln. Als sie Kap Hoorn umrundeten, reihte er sich vor dem Feld ein. Keiner schnallte den Betrug und Crowhurst wurde in Plymouth als Sieger zurückerwartet. Doch er kam nie an. Wochen später fand man sein intaktes Boot auf ruhiger See treibend, mit den gefälschten Logbüchern an Bord. „Solche Leute sind nicht lebensmüde”, widerspricht Dr. Frank Farley von der American Psychological Association der Annnahme, alle Rekordjäger seien suizidgefährdet. „Sie wollen einen neuen, aufregenden Tag erleben.” Und ich, das suburbane Weichei, bin dabei, wenn das Abeneuer Rache nimmt. Im Lehnstuhl, mit Fernbedienung. Watchlist für Weicheier: Grizzly Man. USA, 2005, Regie: Werner Herzog Deep Water. England, 2006 Regie: Louise Osmond, Jerry Rothwell Into the Wild. USA, 2007, Regie: Sean Penn









 

Wenn das Abenteuer Rache nimmt

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