Du musst wagen, du musst vertrauen!
Wellenreiten. Im portugiesischen Nazaré rollen im Winter die größten surfbaren Wellen der Welt an Land. Mitte Dezember wurde zu einem Bewerb gerufen, Roland Regnemer war als einziger deutschsprachiger Journalist vor Ort und so nah wie möglich am Geschehen dran
Gigantisch. Der Brasilianer Pedro Vianna erwischt einen der ersten Riesenbrecher des Bewerbs und entwischt punktgenau dem Weißwasser
Der Österreicher erstarrt in Ehrfurcht, wenn er auf der Streif steht und den Steilhang hinunterschaut. Diese ultrasteile, pickelharte Piste mit 100 km/h und mehr auf Skiern hinunterzurasen – unvorstellbar. Szenenwechsel. Portugal, vorletztes Adventwochenende, früher Morgen. Das Wasser ist nicht zu Schnee gefroren, aber kalt, die Luft klar und frisch. In einem Konvoi aus schwarzen Vans schieben wir uns an einer langen Schlange gut gelaunter Menschen vorbei, verlassen die kleine Küstenstadt Nazaré und erklimmen einen kleinen Hügel. Die letzten Kurven der schmalen Landstraße gehen wir gemeinsam mit hunderten anderen Besuchern zu Fuß und erreichen schließlich den berühmten Leuchtturm Farol da Nazaré, eine Kathedrale des sogenannten Big-Wave-Surfens. Dann
der Blick vom Turm auf die haushohen, wütenden Wellen des Atlantiks. Streif? Skiflugschanze? Dieses Setting hier an der portugiesischen Atlantikküste, eine gute Autostunde westlich vom Flughafen in Lissabon entfernt, lässt alles verblassen und in die Bedeutungslosigkeit abrutschen. Millionen von Tonnen an Wasser werden im Minutentakt gegen die Küste und den Strand geworfen. Es tost, es braust, es lärmt. Ohrenbetäubend. Objektiv lässt das keine Ruhe zu. Subjektiv verstummt das Rundherum. Wenn zur Tudor Big Wave Challenge gerufen wird, ist der Alltag in dem eigentlich beschaulichen Fischerstädtchen wie weggewischt. Der Blick verengt sich, die Augen sind permanent auf das Wasser gerichtet, auf die endlosen Lines, die vom Horizont auf den Leuchtturm zulaufen.
Die Wellen von Nazaré sind nicht schön. Sie brechen auch nicht so gleichmäßig wie etwa in Tehaoupo’o, wo der Olympische Surfbewerb 2024 über die Bühne ging, oder in Hawaii. Es gibt kein türkisfarbenes Wasser mit Sandstrand und keine lupenreinen Tubes, die auch Surfanfänger zum Träumen bringen. Die Wellen von Nazaré sind Biester, die es zu bezwingen gilt. Besonders hoch werden sie, wenn weit draußen am Nordatlantik Stürme toben, was zumeist in unseren Wintermonaten der Fall ist. Ein 230 km langer Unterwasser-Canyon, der direkt vor dem Leuchtturm ausläuft, sorgt dann dafür, dass Jahr für Jahr Monsterwellen mit einer Höhe von mehr als 20 Metern auf die Küste zurollen.
Gehört man zu den wenigen Surfern weltweit, die hier ins Wasser gehen, stehen sogenannte Spotter an Land, die den Ozean beobachten, und es halten sich Rettungsfahrer auf ihren Jet-Skis bereit. Das gilt für das Training und natürlich auch für die Wettkämpfe. Einmal im Jahr wird seitens der World Surfing League (WSL) zur Tudor Nazaré Big Wave Challenge gerufen, einem einzigartigen Event, das allen Beteiligten nur 72 Stunden Zeit gibt, um sich einzufinden. Dann erwarten Meteorologen und Experten aus aller Welt für die aktuelle Saison kaum mehr bessere Bedingungen, dann geht alles blitzschnell. Die Yachtrevue erreichte die Vorwarnung am Mittwochnachmittag, am Abend war klar, dass tatsächlich am Samstag gesurft werden soll.