Wolfgang Mayrhofer

Wolfgang Mayrhofer

Artikel des Autors

Ressort Kreuzpeilung
Alle reden davon. Fordern Einschlägiges. Wir haben sie. Diversity. Nicht so sehr im eigentlichen Sinne, also was die Vielfalt der den Sport ausübenden Personen betrifft. Da sind wir ziemlich eindimensional, nämlich im Kern immer noch weiß, männlich, wohlhabend. Aber bezogen auf den Sport selbst sind wir Seglerinnen und Segler im Vergleich zu den allermeisten anderen Disziplinen Diversity-Kaiser. Zum Beispiel Basketball. Klar, ich kann in der Halle 5 gegen 5 oder im Käfig 1 gegen 1 spielen. Mir einen Freiwurf-Wettbewerb einfallen lassen, ein bisschen Power-Dunking mit einem Trampolin, vielleicht eine Show à la Harlem Globetrotters. Aber das war’s dann auch schon. Selbst im Vergleich zu tendenziell abwechslungsreichen Sportarten wie Schifahren schneidet Segeln mehr als gut ab. Unsere Antworten auf die Fragen „wer segelt in welcher Alters- und Fitnessstufe auf welchem Sportgerät, bei welchen Bedingungen und zu welchem Zweck?“ sind meiner Meinung nach unschlagbar. Altersstufen? Die ganze Bandbreite. 5-Jährige, die sich erstmals im Optimist versuchen, sind genauso am Wasser zu sehen wie 85-jährige Evergreens. Fitness? Variiert extrem. Hier austrainierte Frauen und Männer auf ihren fliegenden Nacras, dort mit lädierten Hüft- und Kniegelenken humpelnde, an Land stark gehandicapte Silver Surfers, die auf einer Sonderklasse elegant ihre Bahnen ziehen. Sportgerät? Gewaltige Vielfalt. 49er und Starboot, Lagoon und AC 72, Peiso und 100-Fuß-Spezialdesign – die Liste ist unendlich lang. Gleiches gilt für die äußeren Bedingungen. 2 oder 40 Knoten Wind, Packer Stausee oder Kap Hoorn, Flachwasser oder Pazifikdünung, Windhose mit Gewitter oder strahlender Sonnenschein. Und nicht zuletzt sind auch die Motive, die uns zum Segeln animieren, höchst unterschiedlich. Mit dem Messer zwischen den Zähnen eine Regatta absolvieren, gemütlich wasserwandern, den Atlantik überqueren oder zwecks Imbiss dem anderen Seeufer entgegen streben – alles ist möglich. Fazit: Wir sind Teil eines wunderschönen Sports. Seine Vielfalt (Diversity! Wir!) ist gewaltig. Erzählen wir anderen davon. Und nachdem zumindest kalendarisch der Frühling vor der Tür steht: Genießen wir es.









 

Der schönste Sport

Ressort Kreuzpeilung
Ich liebe Kataloge. Und zwar aller Art. Na ja, manche Kataloge bestelle ich mir unter den strengen Augen der besten Ehefrau von allen besser nicht. Aber ansonsten: Her damit. Büroausstattung: Sehr schön, ich wusste gar nicht, wie viele unterschiedliche Arten von Klebeband die moderne Direktionsassistentin braucht. Sportartikel: Wunderbar, welch Auswahl an unterschiedlichen Bällen oder elektronischem Gerät es gibt, faszinierend spezielle Goodies wie Kopfhörer für das Schwimmtraining. Möbel inklusive Küchen: Kein Kommentar, alles andere würde diesen Rahmen sprengen. Der legendäre Quelle-Katalog: Eine Fundgrube für den Chronisten des Alltags, vom Radio über Bergschuhe bis zum Frauenmieder – alles drin. Höhepunkt sind natürlich die segelrelevanten Kataloge, die in ganz unterschiedlicher Ausprägung ins Haus flattern. Beschläge: Ein Eldorado, in dem man sich potenziell Abende lang verlieren kann. Klemmen, Schäkel, Blöcke – mir wird ganz warm ums Herz. Zumindest solange ich mir den Blick auf die Preisliste schenke. Tauwerk: Es juckt bereits beim Lesen in der Hand. Welches Schnürl für welchen Zweck, welche Farbe, Reckwerte und Bruchlasten? Musik in meinen Ohren. Schließlich als Krönung: Nautische Bekleidung. Das hebe ich mir für die hohen Festtage auf. Ich bin ja – bitte nicht lachen – „eigentlich“ ein Fan adäquater und fescher Sportbekleidung. Kleinbürgerlicher Geiz, katholische Selbstkasteiung und Bewusstsein um mein unterhalb der Augenbrauen nicht mehr stählernes Äußeres bremsen aber meine Kauf-Impulse. In der vom Katalog angeregten Phantasiewelt aber sitzt jede High-Tech-Unterwäsche noch besser als beim abgebildeten Model, da sind die Bermuda-Shorts schon trocken, bevor sie überhaupt nass waren, und Wind und Wetter ziehen sich verschämt zurück, sobald ich das dreilagige Jackerl aus Ultra-Sonstwas-Überdrüber-Tex anlege. Grundsätzlich gilt: je bunter und dicker, desto besser (der Katalog natürlich). Und bitte nicht den Katalog durch die Webpage ersetzen. Zum Bestellen ist das eine feine Sache, aber zum Schmökern richtig ätzend. Daher: vive le catalogue!









 

Kataloge

Ressort Kreuzpeilung
Die Ausgangslage: Vorletzter Tag eines Törns mit Ausgangsbasis Murter. Nach permanenter Gewitterbegleitung über die Woche verheißen die diversen Wetterberichte eine Stabilisierung der Wetterlage (strahlend!schön!wolkenlos! – in den nächsten Tagen …) und 15 Knoten aus Nordost über Nacht. Der Plan: Ankerplatz nahe Murter suchen, um nur mehr ‚einmal umfallen‘ zu müssen – elendslange Kreuzgänge am letzten Tag bei 25 Knoten aus Nordwest und mit einem Wendewinkel von 110 Grad sind mir in schrecklicher Erinnerung; einen gemütlichen Abend verleben; eine ruhige Nacht verbringen und ein letztes Mal für dieses Jahr das gemütliche Plätschern der Wellen, den leichten Dieselgeruch in der Koje und das Kopfanhauen beim Umdrehen erfahren. Die Realität: ein guter Ankerplatz auf ca. 8 Meter in der großen Bucht Vela Luka bei den Arta-Inseln; der Anker (vorbildlich: Jambo, auch wenn etwas klein dimensioniert) hält auf Anhieb; wir chillen wie geplant. Allerdings nur so lange, bis der Wind relativ unangenehm auffrischt. Permanent im Bereich 20 Knoten plus, in Böen mehr; das Boot schwoit ganz beachtlich. Ankerwache in der letzten Nacht? Klar, eine Option, auf der anderen Seite: Guter Ankergrund, guter Anker, wenig Seegang trotz der Düse in der Bucht, nach achtern mehr als eine halbe Seemeile Luft, helle Mondnacht, unser Partnerboot 100 m von uns entfernt, und: elektronische Unterstützung in Form von Ankeralarm verfügbar. Die Handhabung: Anchor Watch, eine nette kleine, in der YR auch vorgestellte App für’s iPhone auf beiden Booten aktiviert. Alarmbereich auf 80 m gestellt, d. h. sollte das Boot sich mehr als diese Distanz von der Stelle bewegen, gibt es einen durchdringenden Sound als Alarm. Den Abend über das Boot durch traditionelle Landpeilung und über die App (Aufzeichnung der Mikro-Bootsbewegungen am Bildschirm sind inklusive) kontrolliert; ein Mal pro Stunde Aufwachen reihum, um einen Blick auf das Geschehen zu werfen; in Summe: eine akzeptable Nacht. Die Schlussfolgerung: Das Zusammenspiel von wenig aufwändiger Technik und Mensch ist keine schlechte Kombination, um relative Annehmlichkeit und Sicherheit auf See zu kombinieren.









 

Ankern per App

Ressort Kreuzpeilung
Drei Sprinto-Cracks im Starkwindtraining vor Neusiedl, der Autor dieser Zeilen als neugieriger Beobachter an Land. Bei 30 Knoten unter Gennaker bricht vor Weiden plötzlich der Mast. Alles unverletzt, Segel beschädigt, Boot okay, das Schilf nicht weit – Glück im Unglück. Die Glückssträhne hält an, da sich nach den ersten Sicherungsarbeiten ein Motorboot der lokalen Segelschule nähert. Der Gruß der Motorbootfahrerin beendet die Glückssträhne: „50 Euro für jede halbe Stunde – OK?“ Was bleibt schon über, also: nicht okay, aber ‚OK‘. Kurz nach Beginn des Schlepp übernimmt ein Motorboot aus dem BLZ Neusiedl, das den Mastbruch ebenfalls beobachtet hatte und gleich ausgelaufen war. Es schleppt die Sprinto in den 2 km entfernten Heimathafen. Schlussbemerkung der Segelschule: „Nicht vergessen, die halbe Stunde hatte schon angefangen!“ Spontan eingeholte Reaktionen differieren. Ein Strang zeigt blankes Unverständnis: Hilfe unter Profis sollte doch selbstverständlich sein, noch dazu bei dem relativ geringen Aufwand; klar spricht man nachher über die berühmte Spende in die Kaffeekassa, aber ich kann doch nicht im Erstkontakt Geld fordern und damit nahelegen, dass ich kaltblütig jemand treiben lasse, wenn er nicht in den Preis einwilligt; sind ja schon ganz schön verludert, die Sitten am See – statt Hilfe nur mehr Schielen auf die Kohle; auch so kann man Werbung bei Meinungsbildnern machen. Ein zweiter Strang sieht es pragmatisch: Wie kommt die Segelschule dazu, irgendwelche Segler einfach so in den Hafen zu schleppen; auf See wäre gleich das ganze Boot ins Eigentum der Segelschule übergegangen; das scheint mir als Tagsatz ziemlich überhöht – um 800 Euro kriege ich schon einen relativ guten internationalen Trainer; die haben ihre Motorbootlizenz sicherlich nicht dafür bekommen, dass sie mit solchen Einsätzen bares Geld, vermutlich auch noch steuerfrei, machen. Wie sehen Sie’s? Meine Sicht der Dinge sowie die Möglichkeit für Ihr Posting finden Sie unten.









 

Ganz normal?

Ressort Kreuzpeilung
Ich liebe Segeln. Aber ich hasse Wasser. Genau genommen: unfreiwillig ins Wasser fallen, präziser: Kentern. Klar, unangenehm ist in unserem Sport vieles – von A wie Außenborder beim Dingi reparieren bis Z wie Zusammenpacken im Regen. Kentern aber ist ganz oben auf meiner kurzen Liste echter seglerischer Hassobjekte. (Knapp gefolgt vom Reinfummeln der Splintringe in kleine Bolzen bei nasskaltem Wetter mit klammen Fingern übrigens). Jahrelange Analysearbeit auf der Couch (na ja, Wohnzimmercouch) hat keine Aufklärung über die tieferen Ursachen gebracht. Ist es das mich verfolgende Foto im Familienalbum, auf dem mein Vater – Gott hab‘ ihn selig – in einer Mischung aus Stolz und Verachtung einen mangels Auftriebskörpern bis zum Deck untergegangenen Piraten durch den Neusiedler Schlamm zieht, für mich der ultimative Ausdruck von Kontrollverlust? Basiert das auf meiner Neusiedler Prägung, in der Kentern praktisch immer gleichbedeutend ist mit Boot und Segel stundenlang putzen und den Schlamm aus verborgenen Hohlräumen schwemmen, Stander zerstören und oft auch Mast verbiegen? Liegt der Grund in der Sichtweise, Kentern sei handfester Beweis seglerischer Unzulänglichkeit? Liegt die Wurzel in der quälenden Nasse-Sack-Erfahrung, vom Felgaufschwung über Seilklettern bis hin zum Reinquälen ins halbvolle Boot in unzähligen Variationen seit meiner Kinderzeit präsent, die das körperliche Ungenügen so drastisch exemplifiziert? Buchstäblich kein Land in Sicht bei der Aufarbeitung. Wie habe ich sie immer schon bewundert, die virtuosen Kenterkünstler und Wiederaufsteller. Egal wie sie stürzen, sie sind ganz schnell buchstäblich oben auf und haben ihr Bein schon wieder in der Plicht, da ist der Mast noch nicht einmal aus dem Wasser. Federleicht schweben sie scheinbar mühelos in die korrekte Position und berichten an Land nicht von Niederlage, sondern von aufregender Erfahrung. Ich dagegen – ein normal Sterblicher, der wieder einmal im Wasser liegt, sich mühsam hochwuchtet und irgendwie weiter wurstelt. Ich hasse es …









 

Hassobjekt

Ressort Kreuzpeilung
Es kribbelt. Aber anders als früher. Nicht mehr überschäumend, ungeduldig, vorwärts drängend, wann-kann-ich-endlich-die-Geschenke-aufmachen-mäßig. Zart. Behutsam. Mit sanfter Vorfreude. Im Wissen um den Wert einer soeben beginnenden neuen Segelsaison. Harte, abgebrühte Männer – gibt es andere? – bleiben dennoch cool. Lassen Fakten dominieren: Wann werden wir die Schüssel (= zeige nie Zärtlichkeit für dein Boot) ins Wasser geben? Die Muschel braucht schon wieder einen neuen Unterwasseranstrich (= du hast alles im Griff). Die Fock wird es wohl nicht die ganze Saison machen (= der besten Ehefrau von allen – Einstreutechnik! Fuß-in-die-Tür-Technik! – beibringen, dass eine Neuanschaffung bevorsteht und der zusätzlich bestellte Gennaker dabei selbstverständlich inbegriffen ist: „Vorsegel, Schatz, Vorsegel, das ist alles, was nicht Großsegel ist“!). Beim Kranen bin ich schon wieder ganz hinten auf der Liste (= nur wer rummault, liebt seinen Club wirklich, zumindest als gelernter Österreicher). Männer brauchen Impression Management. Frauen übrigens auch, aber anders. Tief drinnen sind wir vielschichtiger. Ja, wirklich. Zumindest wir Segler und in die Jahre Gekommenen. Die zunehmende Knappheit der verbleibenden Zeit steigert den Wert des Hier und Heute. Wie oft noch das Boot auswintern, zitternd-ächzend den Mast aufstellen, die Segel auspacken, das erste Aufschwimmen des Boots beobachten? Daher lassen wir ein wenig mehr raus – im Geheimen zwar, aber immerhin. Hier der kühl-prüfende Blick auf den Hänger, da das neugierig-witternde Aufsaugen der vertrauten und doch neu zu entdeckenden Gerüche. Zuerst das Abmontieren aller Hängerstützen, dann ein zärtlich-befühlendes Streicheln des Gelcoats am Heck. Vordergründig die notwendige Fahrt zum Liegeplatz, in der Tiefe die Neueroberung der wilden See, na ja, des Sees. Eine Bitte zum Schluss: Haben Sie einen von uns in ihrer Nähe, einfach mitspielen, auf der Sachebene bleiben und nicht verstohlen lächeln. Wir sind schließlich Männer.









 

Männerfrühling

Ressort Kreuzpeilung
Das allgemeine Urteil ist klar: Francesco Schettino von der Costa Concordia ist ‚Captain Coward‘, der in geheimnisumwitterter Gesellschaft einer nicht auf der Passagierliste geführten Blondine leichtsinnig und mit Imponiergehabe sein Schiff auf Grund gesetzt, sich bei der Rettung skandalös verhalten und das Leben von wenigstens 13 Menschen beendet hat. Die Wahrheit ist – wie immer – komplizierter. Denn: Die alleinige Fokussierung auf den Einzelnen ist zwar verständlich, aber falsch. Verhalten ist immer ein Zusammenspiel von Person und Kontext. Damit kommen wir zu bisher in dieser Causa nicht gestellten Fragen jenseits der Person. Eine kleine Auswahl: n Wer verantwortet den Auswahlmechanismus für diese Stelle und die konkrete Beförderung? Wenn es denn ein so ungeeigneter Kapitän ist: Wer hat ihn empfohlen, warum hat etwa Mario Palombo, ein früherer Vorgesetzter des Kapitäns, seine Kritik an dessen Eignung nicht schon früher geäußert? n Wer formuliert die ‚standard operating procedures‘ bei der Rettung? Es kann ja nicht sein, dass ein geordnetes Verlassen des Bootes von einer einzigen (!) Person abhängig ist. Was wäre denn bei einer schwerwiegenden Verletzung des Kapitäns gewesen? Wo bleibt die Diskussion über das Verhalten der übrigen Offiziere und über die Prozeduren insgesamt? n Wer nährt die allgemein geteilte Illusion, ein solches Schiff wäre im Notfall überhaupt geordnet evakuierbar? Ich habe mich bei jedem Aufenthalt auf einer Fähre gefragt, ob die sichtbaren Rettungsmittel jenseits der Symbolik und der Eignung für eine kleine Gruppe von Personen irgendetwas bringen. Rettungsboote lassen sich bei starker Krängung nicht mehr zu Wasser lassen – welche Überraschung! Wenn selbst in einem ‚idealen Fall‘ – relativ ruhige See, unmittelbare Nähe zur Küste – das Ganze nicht funktioniert, wie soll es dann erst unter schwierigeren Bedingungen klappen? Kapitäne haben Verantwortung für ihr Schiff, die Besatzung und die Passagiere. Aber nicht alleine.









 

Einäugig

Ressort Kreuzpeilung
Advent, Zeit für einen Besuch des Weihnachtsengerls. Assam Gold aufgebrüht, Kekse auf den Teller, freundlicher Blick meinerseits. Das Engerl schlürft bedächtig den ersten Schluck. Dann meint es nach kurzem Lob für die Vanillekipferl lakonisch: „Widerruf – ich erwarte Widerruf und Abbitte von dir.“ Meine Gesichtszüge, fühle ich deutlich, entgleisen. Die Flucht: ebenfalls ein Schluck Tee, umständlich zwischen Linzer Auge und Rumkugel delektieren. Siedend heiß fallen mir meine Vergehen ein: begehrliche Blicke auf Busen-Bauch-Bein-Po jenseits der Besten aller Frauen, Verwünschung des Chefredakteurs, die Liste ließe sich lange fortsetzen. „Ihr Himmlischen habt ja einen alles durchdringenden Blick, muss ich wirklich … alles?“ „Nur das Wichtigste.“ Ich beginne nachzudenken, da wedelt mir der Gefiederte brüsk mit Ausdrucken vor dem Gesicht herum. „Mein Computerlog zeigt Internet-Surfen auf der Homepage von America’s Cup und Volvo Ocean Race. Analysen zeigen, dass du dir die Videos, ja sogar Live-Streaming, stundenlang reinziehst.“ Ich ahne, was kommt. „Und hier“ – das Engerl hat plötzlich alte Ausgaben der Yachtrevue in der Hand – „deine offizielle Position. Muss ich die vorlesen oder …?“ Meine Körpersprache sagt alles. Ich weiß: öffentliche, despektierliche Bemerkungen über behäbiges Zwei-Kufen-Segeln, das niemals einen taktisch anspruchsvollen America’s Cup erlauben wird; Fadesse pur als Folge; die Unmöglichkeit, Segeln live gut einzufangen und kompetent zu kommentieren. Und jetzt hänge ich auf www.americascup.com rum und bin begeistert, fasziniert und lerne auch noch was.









 

Ich widerrufe

Ressort Kreuzpeilung
„Heute häng' ich ab, heut' cool ich down, heut' werd' ich nicht weiser, heute werd' ich braun. Ich dreh' mich zur Sonne, blinzel in die Runde, ich rolle mich ein, ich bin wie junge Hunde.“ Dieser Refrain von Reinhard Meys ‚Aber heute‘* ging mir beim jüngsten Sprinto-Cup durch den Kopf. Nein, nicht auf der Regattabahn, sondern beim Warten an Land. Ich liebe das ja: Rechtzeitig eintreffen, Meldegeld abdrücken, Boot fertig machen, Steuermannsbesprechung absolvieren, alle versammelt, die Sonne scheint, der Wind fehlt und eine vernünftige Wettfahrtleitung setzt AP an Land und gibt uns Segler/innen bis auf weiteres frei. Damit ist die Sinnkrise da. Unterschiedliche Typen gehen den horror vacui ja spezifisch an. Barocke Genussmenschen sehen die große Chance: Essen, plaudern, trinken nicht erst beim Segleressen am Abend, sondern schon bevor es eigentlich losgeht – Herz, was willst du mehr? Folgerichtig wird einmal ein Bier bestellt, bevor man sich nach Gleichgesinnten umsieht. Sind die gefunden, wird in bester Stehparty-Manier über Gott (selten) und die Welt (häufig) gesprochen. Die Familienmenschen widmen die Zeit ihren meist kleinen Kinder. Der Partner (meist: die Partnerin) kann sich anderen Dingen zuwenden, die Kleinen werden – oft in der Hoffnung auf frühkindliche Prägung – mit Schot, Pinne und Trapez in Berührung gebracht, manchmal auch nur mit Wasser. Die Geier nutzen den Freiraum zum Vergleich. Ausgerüstet mit Maßband, Wantenspannungsmesser und einem scharfen Auge werden Mastfallvergleiche angestellt, Fockholepunkte analysiert und Ausrüstungsvarianten inspiziert. Zeichnen sich in der Regel durch hohe Körperspannung, schmal gepresste Lippen und im Lauf der Zeit zunehmend angespannte Gesichtszüge mit einem Hang zur Resignation aus. Groupies als Subspezies der Geier versuchen, im Gespräch mit den Stars der Klasse auffällig unauffällig zu Infos zu kommen. Die Intellektuellen ziehen sich meist in ein stilles Eckerl zurück. Zücken je nach Ausrichtung Camus, Sartre oder Horkheimer (die 50+ Generation) bzw. Butler, Derrida oder Žižek bei den jüngeren, gelegentlich auch ein Sachbuch und tauchen in die Welt der Buchstaben ab. Nicken gelegentlich ein, geben dem Ganzen aber einen seriösen Touch. Die freizeitorientierten Schonhalter hinterlassen ihre Handynummer bei der Wettfahrtleitung und einem Mitsegler mit der Bitte um Nachricht, falls Auslaufen angesagt ist. Danach gehen sie auf lokale Sightseeing-Tour, fahren in ihr nahegelegenes Feriendomizil oder besuchen die örtliche Vinothek, um den Weinbestand aufzubessern. Sind häufig Kandidaten für verspäteten Start, wenn es dann losgeht. Wäre die Yachtrevue nicht ein seriöses Medium, wäre an dieser Stelle ein kleiner Test (‚Welcher Typ sind Sie?‘). So bleibt es bei der Anregung, doch auch mal den bevorzugten Typ zu wechseln …









 

Abhängen – aber wie?

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