Das Leben ist ein Wunschkonzert

Sommerferien X*. Egal ob an Muring, Boje oder Anker: Nachbarkinder entfachen nur selten ein Feuer der Begeisterung.

Das Leben ist ein Wunschkonzert

Wer mit Kindern unterwegs ist, sollte sich eines sofort abschminken: Nämlich dass Bootsnachbarn ein Rudel klein- bis halbwüchsiger Menschen als „eh lieb“ oder gar als „echt süß“ empfinden.

Es gab eine Zeit, in der unsere verhaltensoriginelle Familienflotte für diverse Liegeplätze der Adria eine potenzielle Gefahr darstellte. Nicht selten vernahmen wir das Ächzen einer benachbarten Ankerwinsch, noch bevor unsere eigenen Anker gefallen waren. Das ist Vergangenheit: In unserer Clique gibt es bereits einige Enkelkinder, die ihre Großeltern (also uns) höchst erfolgreich rächen. Jetzt sind es wir Alten, die schmale Lippen machen, wenn neben uns ein Brüllaffenkäfig festmacht.
Regelmäßig drängt sich dann folgende Frage auf: War unsere Bande auch dermaßen unerträglich? Es könnte ja sein, dass wir dieses Spektakel nur deswegen nicht mehr aushalten, weil wir den Lärmpegel nicht mehr gewohnt sind. Dezibel-Training in der Disko wäre eine Möglichkeit, aber dafür sind wir in jeder Hinsicht zu gebrechlich.

Neulich in Kroatien: Der Anker einer Motoryacht der etwas größeren Sorte fällt genau vor uns. Die Bora bläst, die Sonne steht tief, Liegeplätze sind rar. „Hoffentlich lassen die nicht die ganze Nacht den Generator rennen“, raunt Fritz. Noch ahnt er nicht, welch Labsal so ein Generator gewesen wäre.

Kaum ist die Maschine still, fliegen alle nur erdenklichen Wassersportgeräte aus irgendwelchen Türln. Von Flyboard bis Jetski, von Stand-up-Paddle-Board bis Gummi-Krokodil, von Mono-Wasserski bis Volleyball. Eine Horde 10- bis 14-Jähriger verwandelt die Bucht binnen Sekunden in ein Schlachtfeld; plötzlich sieht es aus, als wäre hier ein Cargo-Flugzeug auf dem Weg zur Nürnberger Freizeitmesse abgestürzt. Offenbar steht in der Job Description der Profi-Crew, dass sie die jungen Herrschaften zu unterhalten hat. Der Lenker des Wasserski-Bootes muss sich sogar anschnauzen lassen, weil das gänzlich unbegabte Pickelgesicht an seiner Leine dauernd hinplumpst.
„Wollten wir nicht eine Nachtfahrt machen?“, fragt Monika, normalerweise die militanteste Hüterin jedes sicheren Ankerplatzes. „So schlimm waren nicht einmal unsere“, stöhnt Harry, wahrlich ein leidgeprüfter Vater.

Die Nachbaryacht wird schnell gegoogelt: Gehört einem Oligarchen der eher mittelmäßigen Sorte. Wahrscheinlich macht er nicht in Gas-Pipelines, sondern in Gummi-Viechern. Ein Teil seines Sortiments treibt herrenlos in der Bucht umher, während die jungen Schnösel alle anderen technischen Spaßmittel und die Profi-Crew malträtieren.

„Nein, so waren wir nicht“, sagt Martina resolut. Und Harry schreitet zur Tat. „Weißt du, wie man den kompletten Sound auf die Außenlautsprecher bringt?“, fragt er. Ja, ich weiß es. Bald geht die Sonne unter.

Stille kehrt ein. Die Kids verschwinden hinter ihren Handys. Das erkennt man an den beleuchteten Wimmerl-Nasen an Deck. Die Crew sammelt mit dem Schlauchboot die verstreute Gerätschaft ein. Die Schnösel-Eltern schlürfen Champagner.
Und Harry dreht auf.

Smoke on the Water – volles Rohr! Rache ist süß. Ob bei der Motoryacht ein Generator läuft …? Wir wissen es nicht. Nach einer Viertelstunde Deep Purple brüllt einer von einem an Backbord liegenden Segelboot zu uns rüber. Schade, das ist jetzt wohl der befürchtete und berechtigte Ordnungsruf…

Weit gefehlt! Wir drehen kurz leise. Der Nachbar fragt freundlich: „Habt ihr auch Radar Love?“ Haben wir! Und auch von Steuerbord kommt ein Plattenwunsch: „Locomotive Breath, bitte!“. „Born to Be Wild wär‘ super“, schreit einer von weiter weg. So jung waren wir schon lang nicht. Unsere Kinder wären stolz auf uns!


*Immer in den Ferienmonaten Juli und August dreht sich die ABDRIFT um das Wunder Familientörn.

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