Der Spießer und der Blitzableiter

Spießer. Pointen, die nicht mehr in unsere Zeit passen, haben nun einmal ihren Preis

Der Spießer und der Blitzableiter

Mein stockkonservativer Segelfreund Martin besitzt eine kleine Firma. Eines Tages machte er sich auf die Suche nach einem Elektriker. Als erster Bewerber erschien ein junger Slowene mit violetten Haaren, Nasen- und Lippen-Piercing sowie einem Dichtungsring im Ohrlapperl. Ohne sich gängiger Grußformeln zu bedienen, grunzte Martin: „Wir brauchen einen Elektriker. Keinen Blitzableiter.“

Einem etwas schmächtigen, aber ganzkörper­tätowierten Marinero stellte Martin einst die Frage: „Soll ich Ihre Hendlbrust fotografieren, oder krieg’ ich die vor drei Stunden versprochene Seekarte doch noch auf Papier?“

Hab ich schon erwähnt, dass Martin ein stockkonservativer Spießer ist? Gelegentlich beschimpft er sich darum selber. Diese Selbsterkenntnis bleibt aber wirkungslos. So waren die erwähnten Pointen weder für den Blitzableiter noch für die wandelnde Seekarte von rasendem Unterhaltungswert. Im Gegenteil, die beiden Slowenen dürften einen Fluch mit Zeitzünder über Martin verhängt haben: Einige Jahre später brannte Martins Yacht aus. Keine Umweltkatastrophe, aber Totalschaden seiner Salamander. Versicherungsfall. Schlimm genug.

Ein trauriger Anblick. Selbst für den Gutachter: kleine Edelsteinderln, wo einst Piercings baumelten, anstelle des Dichtungsrings ein unauffälliges Mercedes-Sternderl im Ohrlapperl, schüttere, graue Haare, Goldrandbrille: „No, vielleicht hat der Blitz in Ihren Feuersalamander eing’schlag’n“, gluckste der Sachverständige in akzentfreiem Ostösterreichisch, mit sanftem Hohn untermalt.

Die ernsthafte Analyse fiel verheerend aus: „Sie haben die Kabelverbindungen selber zusammengeschustert, oder?“ Martin schwieg verlegen. „Das könnt’ schwierig werden mit der Versicherung. Weil Profi-Elektriker sind Sie eindeutig keiner.“

Immerhin war Martins völkerverbindender Humor kein Raub der Flammen geworden. „Soll ich Ihnen die Zähne einhauen? Oder darf das nur ein Profi-Boxer?“ Doch der Gutachter empfand auch diese Pointe nicht als unwiderstehlichen Schenkelklopfer: Martin bekam keinen Cent, stattdessen eine Anzeige wegen Umwelt-Vandalismus von einer slowenischen Behörde.

Was lernen wir? Gute Pointen haben ihren Preis. Dabei waren die Wuchteln noch mit Abstand das Beste, was Martins Schiffsführung zu bieten hatte. Es gibt Gründe, weshalb ich nur zweimal mit ihm gesegelt bin: Das erste und das letzte Mal. Da war etwa der archaische Umgang mit Frau und Kind. Sein achtjähriger Sohn fragte ununterbrochen: „Vati, wo fahr’ ma hin?“ Antwort nach dem vierten Mal: „Ins Jahr 2007. Zum Verhüten.“

Nachdem ich als Rudergänger im knallvollen Hafen von Rab drei erfolglose Runden gedreht hatte, sagte Martin vorwurfsvoll: „Du bist noch schlechter als mein Zahnarzt. Der findet auch nie eine Lücke.“ Die punktgenauen Arschtritte, die Martins Frau mehrmals am Tag zur Anwendung brachte, schätzte ich hingegen sehr.

Nach einer bedingt erholsamen Woche bekam die Salamander einen inakzeptablen Liegeplatz zugewiesen: An der Rückseite eines Chemie-Häusels neben einer Betonmischmaschine. Der Marine­arbeiter lehnte jede Verantwortung ab: „Neue Chefe gefohlen hat mir.“ Martin bekam gelbe Flecken wie ein Salamander und stürmte schnaubend Richtung Rezeption. „Nummer 7!“, brüllte er schon am Eingang. „Seit vier Jahren liegt mein Boot auf Platz 7!“ Durch das weiße Uniformhemd des eher schmächtigen Hafenkapitäns schimmerte ein Gemälde. „Neue Platz is Nummer 77. Kannst du auch merken leicht. Und findest du Platz leicht mit ohne Seekarte.“

Martin hatte die Endstation seines Wuchtel-Repertoires erreicht. Sein Sohn, der zur Rezeption mitgelaufen war, versuchte dem väterlichen Wutanfall auf den Grund zu gehen: „Vati, ist das Verhüten?“

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