Immer wieder Griechenland
Liebesgeschichte. Alterserscheinung, Weltgeschehen, oder einfach nur der Retsina
Meine Frau wirft mir seit Jahren vor, dass ich zwei beziehungsgefährdende Fehler habe: Erstens könne ich überhaupt nicht zuhören, wenn ich mich mit dem Segeln beschäftige. Und zweitens noch irgendwas anderes. Wenn sie dann noch mit den kleinen Fehlern daherkommt, bezeichne ich sie gelegentlich als Hexe. Ja, auch unsere Kinder haben sich noch vor Hexen gefürchtet und nicht vor jenen Menschen, die besagte Frauen lebendig verbrannt haben.
Vielleicht sollten wir auch die Geschichte der Seefahrt etwas überarbeiten: Segelschiffe wurden nicht nur erfunden, um friedlich Handel zu treiben, sondern auch, um unbekannte Zeitgenossen niederzumetzeln. Hinter Entdeckergeist und Abenteuerromantik: Kompromisslose Eroberung, Goldgier, Menschenraub, Massenmord, Sklavenhandel, Kolonialisierung, Inquisition, Missionierung, Piraterie, Massaker auf offener See. Und die Abholzung riesiger Wälder, um Schiffe zu bauen, die wenig später in Seeschlachten samt Mannschaft versenkt wurden. Nur einer von zehn Seemännern kehrte in die Heimat zurück, falls er eine solche hatte.
Nichts liegt mir ferner, liebe Seglerinnen und Segler, als euch die Lust an unserem Lieblingshobby zu nehmen. Vielleicht ist es ja das rasant zunehmende Lebensalter, das mir so weltgeschichtliche Gewissensbisse versetzt. Vielleicht die aktuelle Weltlage. Wahrscheinlich aber eh nur der Retsina.
Ich habe gerade in der Bucht einer griechischen Trauminsel den Anker geschmissen, die Crew zu einem rudimentär behauenen Felsen gepaddelt und ins Städtchen Hydra wandern lassen.
Erholsame Ruhe.
Nach exakt acht Minuten macht ein kleiner griechisch-blauer Frachter mit beängstigendem Tiefgang an einer Betonplattform fest. Gleichzeitig scheppern zwei leere LKW die Schotter-Serpentine herab. Mutmaßliches Baujahr: 1957 – Schiff wie Laster. Ein rudernder Fischer und Pistazienverkäufer erklärt mir den vierstündigen Einsatz: „Ship bring sand for street in harbour, so tourist can go on stone. Million tourist go! Too much go and sit on stone!“
Ich überrede den etwa gleichaltrigen, partiell zahnlosen Mann, mit mir eine Flasche geharzten Wein zu beseitigen. „People look only telephone. Not see Hydra! Why go in Greece? Can look Hydra in TV home Germany and England! Why foto of Souvlaki in facebook? Must not fly! Can eat Greek in Bremerhaven and Liverpool and make foto of food!“
In jenen Hafenstädten habe er „Basic English“ gelernt. Als junger Werftarbeiter in den frühen 80ern. Während er erzählt, krieg’ ich ein WhatsApp aus dem Hotspot Hydra. Samt Foto einer obszön großen Portion Moussaka und vier Flaschen Mythos-Bier. Ich zeige es meinem neuen Freund. Er pfeift höhnisch durch seine Zahnlücke.
Nächster Tag, nächste Bucht. Griechenland funktioniert auch ohne Marina-Service und Festland-Dusche. Anaghiri, Insel Spetsés. Hier waren meine Frau und ich vor 48 Jahren irgendwie zusammengewachsen. Damals mit Rucksack und Zelt, ohne Segelboot. Vielleicht hab ich ihr manchmal sogar doch zugehört. Ich erzähle dem Kellner unsere persönliche Griechenland-Story. Sein Opa Manolis führte 1977 das gleichnamige Lokal, sein Papa, der jetzt in der Küche steht, war damals 20 – wie ich. „Bist du mit Odysseus gesegelt“, lacht der junge Mann. Sehr witzig, Grünschnabel! Ich war schon hier, da warst du noch nicht auf der Welt! „Ja, sicher“, knirsche ich. „Und dort auf dem Berg saß ein Zyklop mit nur einem Auge, groß wie ein Wagenrad! Ohne Handy davor.“
Meine historische Irrfahrt beschert unserer Crew eine Flasche Ouzo, die auf der ohnehin bescheidenen Rechnung natürlich nicht aufscheint. Ich liebe Griechenland. Immer schon. Und Hexen.