Mallorca 2

Werner Meisinger über seltsame Geschichten aus felsige Land, gehört auf einem Törn, der ihn ebenfalls rund um die Insel führte

Mallorca 2

Am Tag bevor es auf dem Felsen schneite fuhr Mateo noch einmal aufs Meer. Madalena war immer noch gut in Schuss. „Das Mädchen hält sich besser als ich“, dachte der Alte, als er die kleine Llaut losmachte, um aus dem Hafen zu tuckern.

In der Morgendämmerung war das Wasser grau wie der Anstrich der Kriegsschiffe, die vor der Bucht ankerten, und glatt wie polierter Stein. Früher, als der Hafen noch ein freies Becken hinter dem Wellenbrecher und die Bucht noch nicht gespickt mit Stegen war, früher, als die halbe Stadt darüber sprach, wenn hier eine Yacht festmachte, da lagen weit mehr als hundert Fischerboote am Pier und in der Mündung des Torrent. Jetzt waren es keine zwei Dutzend mehr. Die Menschen bevorzugten größere Boote. Und wer sich ein „modernes“ Schiff zulegte, bekam eine staatliche Prämie ausbezahlt.

Früher, da war das Leben in Andratx karg. Aber Mateo hatte es geliebt. Er war nicht weggegangen, wie so viele andere Junge. Er war geblieben, auch als alles anders wurde. Als der Kommerz den Hafen verschluckte, sich jedes Stückchen Strand nahm, sich in die Felsen hineinfraß und auf jedem Plateau einen Tempel der Anbetung seiner selbst hinterließ. Villen, Hotels, Feriensiedlungen, Bars, Restaurants mit grellen Lichtern. Nun, es waren eben neue Zeiten, bessere gewiss. Nun hatten die jungen Leute Arbeit und mussten nicht mehr wegziehen.

Mateo hielt nach Nordwesten. Bald nach Punta de na Moragues kam Wind auf. Er setzte das Segel, gemächlich, wie es seine Kräfte zuließen, fixierte die Pinne und ließ Madalena im milden Llevant Richtung Dragonera treiben. Ein zartgelber Streifen auf den höchsten Zacken der Felsenechse kündigte den Sonnenaufgang an. Langsam sanken Farben und Licht auf das Meer, bis die Sonne Mateo mit reichem Schwall den Rücken wärmte.
Mateo griff sich die Thermosflasche aus seiner alten Ledertasche, goss einen Becher heißen Kaffee ein und wickelte Sardinen aus dem Ölpapier. Sonnenaufgang war Frühstückszeit, das hatte er von seinem Vater, der es wiederum von seinem Vater hatte. Das Warten auf den Sonnenaufgang verband Mateo mit Demut vor der Schöpfung, doch er hatte den Gedanken nie zu Ende gesponnen. Dass die Harmonie von Kaffee und gebratenen Sardinen einen Beweis für die Existenz Gottes darstellte, dessen war er sich aber sicher.

Mateo passierte die Südspitze von Dragonera im Abstand von einer guten Meile, dann hielt er auf einen Bereich des offenen Meeres zu, der sich vom großen, weiten Blau rundum durch nichts unterschied.

Die Llaut machte im auffrischenden Wind gute Fahrt. Schon nach einer Stunde hatte Mateo sein Ziel erreicht. Er warf die Leine mit den bunten Kunststofffäden achteraus und ließ die Angel vom Holz laufen. Nach ein paar Minuten verschwand der kleine, rote Korkball im Wasser, die Leine kam steif und schnitt steil durchs Wasser. Mateo drehte bei und holte die Angel Hand über Hand ein; seine Haut war in Jahrzehnten der Fischerei so unempfindlich wie doppelt gegerbtes Leder geworden. „Sehr gut, ein Kleiner“, murmelte Mateo, als er den Widerstand des Fisches spürte. Früher, als es noch ums Geld ging, war er natürlich hinter den kapitalen Burschen her. Doch was sollte er heute mit einem Fünfzig-Kilo-Brocken?

Gegen halb vier war Mateo zurück im Hafen. Er räumte sein Boot sorgfältig auf, wickelte den Fisch in Zeitungspapier und machte sich auf den Weg nach Hause. Der Bus nach Palma ging um sieben. Zeit genug. Maria und die Enkel würden sich über den Fisch freuen. Einen besseren konnten sie nicht kriegen.

Hinter der Geschichte

Llaut, Llaüt, Laúd oder Llagut werden die traditionellen Boote auf den Balearen genannt. Sie sind mit Lateinersegel ausgestattet und wurden früher in Klinkerbauweise hergestellt. Heute dienen sie weniger dem Fischfang oder dem Transportwesen als vielmehr der Freizeitschifffahrt. Diesem Zweck entsprechend hat man den Rumpf verbreitert, sodass moderne Llauts plumper erscheinen als die klassischen Fischerboote. Nachdem die mallorquinischen Fischer durch ein Förderprogramm zum Umstieg auf moderne Boote angeregt wurden, ist die Zahl der Llauts stark zurückgegangen; heute gibt es auf den Balearen kaum noch 800 Stück.
Vor der Nordwestküste Mallorcas liegt ein hervorragendes Revier für das Angeln auf Blauflossen-Thunfisch. Ortskundige können tatsächlich an den meisten Tagen des Jahres von einem Fang nach Wunsch ausgehen. Touren für das Hochseefischen werden beispielsweise ab Port de Sóller angeboten.

Die Wendung „bevor es auf dem Felsen schneite“ ist dem Band „Märchen und Mythen aus Mallorca“ entnommen (Christoph Heil, Der Zauber der Zypressen, Edition Orient). Der Gottesbeweis durch die Harmonie von Kaffee und gebratener Sardine wird bei José Saramago in dem Buch „Hoffnung im Alentejo“ erwähnt (rororo).

Das Murmeln in der Bucht Sa Foradada

Wenige Wochen bevor es auf dem Felsen schneite, wurde es still vor Sa Foradada. Der letzte Wein war ausgeschenkt, die Asche im Ofen kalt geworden, das Gatter der Finca nun verriegelt. Da kam ein Vogel mit rotbraunen Schwingen und weißer Brust geflogen, mag sein ein Eleonorenfalke, setzte sich auf einen Stein hoch über dem Wasser und begann zu erzählen:

„Die Geschichte, die mir vom Vater meines Vaters überliefert ist und von der man heute nicht mehr weiß, wer sie als erster berichtet hat, nimmt ihren Anfang zur Zeit von Isabella. Sie herrschte über Aragón und diese Inseln und weihte ihr Leben und Werk der römischen Kirche. Daher nannte man sie später Isabella die Katholische.

Zu dieser Zeit kamen schwarze Mönche vom Osten über das Meer und mit ihnen ein Dutzend Soldaten mit Schwertern und Äxten.

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