Freiheit beginnt im Kopf

Wer mit einem Zweimaster von Sailing Classics durch den Golf von Neapel segelt, findet in einem maximal sicheren Umfeld sowie in guter Gesellschaft Abstand vom Alltag – eine Kombination, die nie wertvoller war als heute

Freiheit beginnt im Kopf

One, two, three! One, two, three! Der erste Offizier Juan, ein quirliger, stets zu Späßen aufgelegter Katalane, gibt den Takt vor, wir Gäste ziehen gemeinsam am Fall. Dank der gemeinsamen Anstrengung ist das Stagsegel bald gesetzt, die restlichen folgen und schon rauschen wir Richtung Westen, angetrieben nur von der Kraft des Windes. Die 54 Meter lange Chronos, deren zwei Masten eine Fläche von insgesamt 990 Quadratmetern tragen können, ist eine Vollblutseglerin, schnell, elegant und sturmfest. Rhythmisch bewegt sie sich in den langen Wellen, die sich im Golf von Neapel aufgebaut haben, die Sonne scheint, der Himmel ist blau, das Leben schön. Nachdem alle Fallen, Strecker und Schoten klariert sind, kehrt Ruhe an Bord ein. Jeder sucht sich ein Plätzchen, das zu seinen Vorlieben passt, besonnt oder im Schatten, luftig oder windgeschützt. An Deck gibt es viele Möglichkeiten zum Relaxen. Zu beiden Seiten der Aufbauten finden sich gepolsterte Bänke, vorne breite Sonnenliegen, bequeme, dicke Matten lassen sich als mobile Ruhestationen nutzen. Ich habe jede Menge Bücher im Gepäck, bringe es aber nicht übers Herz, eines davon aufzuschlagen und meine Nase hineinzustecken. Lieber lasse ich meinen Blick über die glitzernde Wasseroberfläche schweifen. Das harmonische Auf und Ab versetzt mich in eine Art Trance, Sorgen und düstere Gedanken, die sich in Zeiten wie diesen schwer abschütteln lassen, rücken in die Ferne. Heute Morgen lagen wir noch vor der Ostseite der Insel Ischia und wurden mit dem Dingi zum Castello Aragonese gebracht. Die Burg thront auf einem über hundert Meter hohen Felsen aus erstarrter Lava, der mit Ischia durch eine lange Brücke verbunden ist. Sie hat eine lange, wechselhafte Geschichte hinter sich, diente der Bevölkerung als Zufluchtsort, Bischöfen und Fürsten als Residenz oder der Justiz als Kerker. Das weitläufige Areal kann gegen Eintritt über einen gut beschilderten Fußweg besichtigt werden. Gleich zu Beginn finden sich mehrere Räume, in denen Folterwerkzeuge ausgestellt sind, daneben zeigen Zeichnungen und Gemälde detailgetreu entsprechende schaurige Szenen. Bedrückend, mit wieviel Einfallsreichtum und Perfidie die Menschen einander zu quälen bereit waren, sei es im Namen Gottes oder der Gerechtigkeit. Auch diese Bilder gilt es aus dem Kopf zu bekommen …

Startpunkt unserer Tour war die Marina d’Arecchi in Salerno, wo die Chronos an der Mole auf uns wartete. Zwanzig Gäste checkten ein, jeder in Besitz eines aktuellen negativen Corona-Tests – Teil des Maßnahmenpakets, das Andreas Steidle-Sailer, Inhaber von Sailing Classics, um der Gesundheit seiner Kunden willen geschnürt hat (siehe auch Kasten auf Seite ??). Sie kommen vorwiegend aus Deutschland, einige aus der Schweiz; wir gehen bei dieser Reise als einzige Österreicher an Bord. Viele sind Stammgäste, die diese spezielle Art des Reisens am Wasser schätzen und lieben gelernt haben. Sie genießen das Rundum-Service durch die Crew, die Geräumigkeit und den Komfort sowie die hervorragende Küche, freuen sich aber genauso auf die freundschaftliche, unkomplizierte Atmosphäre an Bord und die Möglichkeit, beim Segeln mitzuhelfen.
Unsere erste Etappe führte entlang der Amalfi-Küste, mangels Wind zwar unter Motor, dafür ganz nahe am Land vorbei. Die Kulisse, die an uns vorbeizog, ist ebenso berühmt wie beeindruckend: Zerklüftete Kalkwände, zum Teil bis zu 1.400 Meter hoch, fallen zornig zum Meer ab, Zitronen- und Olivenhaine kleben an mühselig geschaffenen Terrassen, prächtige, alleinstehende Villen bilden die Tupfen auf dem i. In tief eingeschnittenen Seitentälern drängen sich Häuser zu Ortschaften, das namensgebende Amalfi, dem wir einen Besuch abstatteten, gehört zu den bekanntesten. Das Stadtbild wird von dem prächtigen, über tausend Jahre alten Dom mit seiner einzigartigen Mischung aus orientalischen, byzantinischen und romanischen Elementen beherrscht. Eine monumentale Freitreppe mit 67 Stufen führt zum Portal, wer sie in einem einzigen Atemzug bewältigt, so die Legende, hat einen Wunsch frei. Schaffen wir leider nicht – dabei hätten wir uns schon einen dringenden Wunsch ausgedacht …

Ausgiebige Erkundungen

Weil die Windbedingungen so gut sind, erreichen wir den westlichsten Punkt unserer Reise, die sichelförmige Insel Ponza früher als geplant. Kapitän Nico lässt den Anker vor der beliebten Bucht Chiaia di Luna, in der mindestens 30 Yachten liegen, auf 15 Meter Tiefe rasseln, wir springen zuerst in das kristallklare, perfekt temperierte Wasser, dann in die Dingis, um eine kleine Forschungsfahrt zu starten. Der Sandstrand im Scheitel der Bucht war nach tödlichen Steinschlägen fast zehn Jahre lang gesperrt und wurde erst Ende 2019 wieder freigegeben, zu seiner Linken ragt eine spektakuläre, hundert Meter hohe Wand aus weißem Tuffgestein gen Himmel. Die immer wieder neuen Formationen beflügeln unsere Phantasie. Sieht das nicht wie die geflämmte Schneehaube aus der Hand eines wahnwitzigen Zuckerbäckers aus? Könnten die Zeichen, die das Wasser in den Fels gemeißelt hat, nicht die Botschaft einer längst vergangenen Kultur sein? Wirkt der glatte, flache Stein, der aus einer der Höhlen leuchtet, nicht wie ein Altar? Die Assoziationen fließen nur so.

Später verholen wir uns um den Südzipfel von Ponza zum Hauptort der Insel.

Die gesamte Story lesen Sie in der Yachtrevue 10/2020, am Kiosk ab 2. Oktober!

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