Das legendäre Pottwal-Debakel

Moby Klick. Auf See gibt es unendlich viele Wege, kläglich zu scheitern. Digital, analog und ganz natürlich

Das legendäre Pottwal-Debakel

Einmaliges Naturschauspiel; irgendwo zwischen den Kanarischen Inseln. Eine blau-grün schimmernde Riesenlibelle hat sich aufs offene Meer verirrt. Jetzt sucht sie auf unserer Reling Schutz vor ein paar Möwen, die nervös kreischend herumflattern. Allerdings nicht wegen des biologischen Hubschraubers. Das stille Wasser beginnt plötzlich zu brodeln. Ein gut zwanzig Meter langer Pottwal taucht schnaubend auf und erhebt sich majestätisch unmittelbar neben unserer Bordwand im perfekten Nachmittagslicht.

Ich schalt‘ auf Autopilot, fummle in der Hosentasche herum. Handy fällt in den Tunfischsalat. Abwischen im T-Shirt. Passwort eingeben, natürlich falsch, zweiter Versuch, wieder falsch, dritter Versuch, endlich! Nein, ich will keinen Kurzparkschein für Linz lösen! Wo ist die verfluchte Kamera-App? Hier! Natürlich im Selfie-Modus. Nein, ich will auch kein Update, zum Teufel! Co-Skipper Charly scheitert noch erbärmlicher, indem er auf seine Brille latscht. Autopilot baut Patenthalse. Genau jetzt ruft ein Versicherungsvertreter an und verdeckt den Auslöser der Kamera. Klingelton: Another One Bites the Dust. Als ich endlich abdrücke, ist die Libelle eines natürlichen Todes gestorben, und der Pottwal hat sich nach Gambia abgesetzt. Meine fotografische Ausbeute: Eine kackende Möwe von hinten. Unscharf.

Schon wieder: Another One Bites the Dust. Der Versicherungs-Heini ist unerbittlich und will genau jetzt meinen Brandschaden-Vertrag aufpolieren. „Sie sind ja nur am Leben, weil der Kondom-Automat damals keinen Zwanziger wechseln konnte“, brülle ich ihn an. Zugegeben eine etwas überzogene Reaktion. Doch der Kerl ahnt ja nicht einmal im Entferntesten, wie dringend er in diesem Augenblick eine Lebensversicherung für sich selbst brauchen würde, wäre er Teil meiner Crew. Leider sitzt er auf dem Festland in einem stinkenden Drehsessel und malträtiert unschuldige Bürger.

„Reg dich ab“, sagt eine junge Mitseglerin altklug. „Ich hab ja eh alles im Kasten!“ Simone könnte meine Großnichte sein und hat mit ihrem vietnamesischen Billigsdorfer-Smartphone einen Dokumentarfilm gedreht, der vermutlich demnächst als Universum-Folge unter dem Titel „Moby Klick und der Hubschrauber“ ausgestrahlt wird.

Während ich noch immer an der passenden Todesstrafe für den Brandschaden-Attentäter feile, beschleicht mich ein ekeliger Gedanke: Der ist nur mein Sündenbock und kann nix dafür. Ich bin einfach zu alt, um als Influencer, Instagrammer oder Youtuber Karriere zu machen. In der digitalen Welt reicht mein Talent gerade einmal für Wetter- und Navi-Apps. Und für kackende Möwen.

Eine Stunde nach dem Pottwal-Debakel reißt mich Simone aus meinem melancholischen Selbstmitleid: „Laut Meteo-Radar segeln wir mitten in ein Ur-Gewitter“, orakelt sie ur-aufgeregt und fuchtelt mit den violetten und knallroten Kreisen auf ihrem Display vor meiner Nase herum. Ich werfe einen Blick auf die echten Wolken, einen zweiten zum Horizont und einen dritten in Charlys stoische Augen. Ohne Worte beschließen zwei alte Männer, einfach Kurs zu halten.

Zwanzig Minuten später entlädt sich das Unwetter über den Bergen der Insel. Vielleicht trifft einer der unzähligen Blitze sogar das hinterfotzige Dromedar, das mich zwei Tage zuvor im Los Volcanes Nationalpark für 37 Euro von seinem Höcker in den Lava-Sand geschleudert hat. Unser braves Schiff rauscht hingegen mit einem angenehmen südlichen Lüfterl Richtung Marina Lanzarote. Dort treffen wir trockenen und erhobenen Hauptes viel früher ein als geplant.

„Wie habt ihr das wissen können?“ fragt Simone ehrfürchtig und wissbegierig. „Weil mein linker Nasenflügel seit Stunden zuckt“, antworte ich todernst. „Und weil der Möwenschiss heute so silbrig glänzt“, ergänzt Charly ohne Absprache.

Ja, ich geb ’s zu: Charly ist ebenso nachtragend wie ich. Wir hassen uns beide dafür. Ehrenwort.

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