Hanf und sein unnütziger Eigensatz
Partylaune. Reden ist Silber, Schweigen ist Pljeskavica
Der Abend vor einer adriatischen Hobby-Regatta. Ein segelnder Lokalpolitiker zentralalpiner Herkunft hält eine aufwühlende Rede. Ungebeten, ehe die Hauptspeise serviert wird. Gemeinderatsroutine.
Nicht ohne Stolz erwähnt er in launigen Schachtelsätzen seine bescheidenen Verdienste als Vizebürgermeister. Der Herr (nicht zu vergessen!) Landesrat ist überzeugt davon, dass die gut 150 Segler und knapp 10 Seglerinnen nicht nur die (mit Käse von der Insel Pag gefüllten) Pljeskavica herbeisehnen, sondern auch rasend Appetit auf seine fesselnden Worte verspüren.
Zu seiner Ernüchterung deckt sich diese Erwartung nicht mit der Realität: Die hungrigen Crews überbrücken die Durststrecke durch eine lückenlose Menschenkette zu den Ožujsko- und Karlovačko-Quellen am Tresen. So entsteht ein unerschöpflicher Versorgungs-Highway, auf dem das Bier nicht warm wird, wenn sich schon die dalmatinischen Fleischlaberln verkühlen.
Dann die ersehnte Huldigung des Regatta-Organisators! „Wir bedanken unserem Kommodore Robert für seinem unnützigen Eigensatz!“ (sic!) Der uneigennützige Einsatz des regionalpolitisch geschulten Sprachakrobaten löst einen Lachkrampf aus. Dieser fegt durch den Saal wie die schwarze Bora über das Velebit-Gebirge. (Bitte, liebe Leserin, verzeih mir diese Metapher. Womöglich habe ich zu vielen Festreden beigewohnt.) Übrigens: Der Gehuldigte heißt Hans, nicht Robert.
Das Grande Finale der Laudatio geht unter wie das morsche Holzboot eines armseligen dalmatinischen Fischers, der von der brüllenden Wut eines Schirokko-Gewitters im kochenden Murtersko More in die Tiefe gerissen wird. Es versinkt in den tanzenden Fluten der Hemmungslosigkeit einer sich in Regatta-Testosteron wälzenden Gesellschaft. (Ich bitte an dieser Stelle noch einmal aufrichtig um Entschuldigung!)
Normalität kehrt ein: lauwarme Pljeskavica, kaltes Pivo, aufgewärmtes Seemannsgarn. Der nächste Vormittag: hoch konzentrierter Regatta-Start. Ein paar Hartgesottene, die sich des Nachts noch einen (vielleicht sogar vier) Pelinkovac genehmigt hatten, überspielen ihr Handicap durch einen aufgemalten, grenzdebilen Blick. Ein Modellathlet korrigiert seine bestialische Atemluft im Fünf-Minuten-Takt durch die Einnahme einer Fisherman’s-Friends-Pastille. Dabei handelt es sich um eine Biowaffe aus Eukalyptus, Menthol, Lakritze und Ammoniumchlorid, die bei ihren Opfern das unwiderstehliche Verlangen auslöst, die verätzte Zunge durch die Ohrmuschel ans Tageslicht zu zerren. Um Regatten dieser Art nicht in Verruf zu bringen: 95 Prozent der Teilnehmer sind 95 Prozent der Woche stocknüchtern. Doch selbst der Rest ruft 95 Prozent des seemännischen Könnens ab, um bei einer 95-prozentigen Hobbyregatta zu 100 Prozent professionellen Sport zu betreiben.
Wettkampf bei 20 Grad und 15 Knoten Wind. Der letzte Sonnenbrand der Saison. Wer denkt schon an Sonnencreme, wenn die Autofenster daheim in der Früh längst mit Raureif überzogen sind? In den Etappenzielen gibt es ausschließlich Sieger. Über kleinere Zwischenfälle wird herzlich gelacht. Es gibt überhaupt nur einen schmerzhaften Vorfall: Einer der Segler hat beim Versetzen des Spinnakerbaums den Einser und den Zweier eingebüßt, also die beiden oberen vizebürgermeisterlichen Schneidezähne. Nun, ganz so schlimm war auch das nicht. Sonst ließe sich der Herr Landesrat nicht eine seiner beliebten Dankesreden als dramaturgischer Höhepunkt zum Abschluss der Siegerehrung nehmen. Doch diesmal führt schon sein einleitender Halbsatz dazu, dass gefühlt 160 Siegerinnen und Sieger nach fünf Sekunden lautstark in den geschüttelten und gerüttelten Partymodus kugeln: „Lieber Hanf, unfere groffe Fucht ift daf Fegeln …“