Querulant statt Sextant

Von Schlagzeilen, die in der Luft liegen, und einem Plädoyer, das sich gewaschen hat

Querulant statt Sextant

Die Beschwerde eines Ski-Touristen über angeblich zu langsame Bergretter scheidet die Geister und beflügelt die Phantasie. Der Mann war trotz Warnung weit abseits der gesicherten Pisten unterwegs, wurde von einer Lawine erfasst, brachte die Bergretter dadurch in Lebensgefahr und überlebte. Sie, liebe Leserin und lieber Leser, halten zwar die Yachtrevue in Händen und nicht die Gipstaler Pisten-Krone, es ist aber durchaus denkbar, dass so ein Typ irgendwann einmal nicht auf die Bergrettung, sondern auf die Seenotrettung angewiesen ist. Der Fall lässt daher nicht nur in Berghütten die Wogen hochgehen. Nein, auch in kroatischen Konobas wird mit Bora-Stärke diskutiert.

Eindeutige Tendenz: Der Querulant hat den Sextanten längst abgelöst. Menschen, die sich in der freien Natur bewegen, sollten dies generell gewissenhaft tun. Das sagt einem der Hausverstand. Früher auch bekannt unter dem Begriff Vernunft. Doch der Zeitgeist der ausklingenden zweiten Dekade des dritten Jahrtausends n. Chr. suggeriert etwas ganz anderes: Heute brauche ich einen Schuldigen – und der kann auf gar keinen Fall ich selber sein. Daher liegen auch die folgenden Schlagzeilen in der Luft:

Texanischer Chili-Allergiker an zu scharfer Jalapeño-Schote verreckt:
Trump verklagt Mexiko

(Die Kriegserklärung wird er hingegen zurückziehen, weil seinen Truppen eine Mauer im Weg wäre.)

Britische Nichtschwimmerin bei Flucht aus England im Ärmelkanal ertrunken: Premierministerin Theresa May verklagt die Europäische Union

Apnoetaucher in 200 Meter Tiefe auf der Suche nach Dryland gestorben: Seine Mutter verklagt Kevin Costner wegen der Vorbildwirkung im Film „Waterworld“

Jollensegler bei Ägäis-Querung von Meltemi überrascht:
Hinterbliebene verklagt Poseidon

(Den Gott – nicht den Wetterdienst)

Schwimmerin samt Hund von Hai gefressen:
Witwer verklagt untätigen Fischer

(Nur wegen des Hundes übrigens.)

Spaß (kurz) beiseite: Jeder Skipper trägt die Verantwortung für sein Schiff und seine Crew. Seine Aufgabe besteht darin, Mensch und Material sicher zurück in den Hafen zu bringen. Nicht verantwortlich ist er hingegen für: Gebrochene Zehen wegen Segelschuh-Verweigerung, hummerrote Haut wegen Sonnencreme-Verweigerung, verbrannte Handflächen wegen Handschuh-Verweigerung, Dehydrierung wegen Flüssigkeits-Verweigerung, Sonnenstich wegen Kapperl-Verweigerung, Wespenstich wegen Trinkglas-Verweigerung oder Ehescheidung wegen Anstandsverweigerung.

Ich bin (leider) kein Rechtsanwalt. Wäre ich einer, so würde ich mich auf die Verteidigung von beklagten Skippern spezialisieren. Und jedes Plädoyer würde zu einer wüsten Beschimpfung des Klägers ausarten. Etwa so:

„Ehrenwertes Gericht, der hier vorstellige penetrant aufsässige Querulant versucht, aus seiner unendlichen Dummheit schamlos Kapital zu schlagen. Der Begriff Anständigkeit hat in seinem Herz offenbar ebenso wenig Platz wie Intelligenz, Eigenverantwortung, Teamgeist, Seemannschaft, Kameradschaft, Vernunft oder Menschenverstand in seiner zerebralen Restplatzbörse. Wohl aber liegt genau in diesem Einzeller (auch Hirn genannt) die Ursache für seine totale Lebensunfähigkeit. Der Kläger – in der Verteidigungsschrift fortan als „Volltrottel“ bezeichnet – ist nach meinem Rechtsempfinden unter ständiger Beistellung einer geschulten Begleitperson mit sofortiger Wirkung zu entmündigen. Kontakt mit der Natur sollte ihm nur noch unter strenger Aufsicht möglich sein. Ich stelle ferner den Antrag, den Angeklagten in allen Punkten freizusprechen und die nun wohl zwangsläufig gegen mich zu verhängende Ordnungsstrafe direkt auf das Konto der Seenotrettung zu überweisen …“

Mag sein, dass meine Anwaltskanzlei flott bankrott wäre. Aber ich könnte mich in den Spiegel schauen. Zumindest bis der in die Konkursmasse wandert.

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