Augenblicke zum Vergessen

Kolumne Jürgen Preusser: Missglückte Manöver, streng gehütete Geheimnisse

Da lehn’ ich nun, ich armer Tor, und bin so nass wie nie zuvor. Den Salzbuckl an der Kaimauer, Kratzer von Miesmuscheln an meinen Wadln. Sogar der Oktopus neben mir scheint ein Grinsen kaum unterdrücken zu können. Am liebsten würde ich ganz in den Fluten versinken. Was für ein Desaster. Wie von selbst tauchen aus den Tiefen der Erinnerung die bisher peinlichsten Anlegemanöver meines über 30-jährigen Seglerlebens vor meinem geistigen Auge auf.
Es war einmal die brillante Idee eines Crewmitglieds, einen für diesen Steg ganz und gar unbrauchbaren Kugelfender durchs Steuerrad nach Achtern zu zwängen. Die daraus resultierende Ruderblockade löste einen panischen Vorwärtsschub aus, dessen Folgewelle beinahe den Marinero vom Schwimmsteg geworfen hätte. Sie entfesselte aber auch eine Kanonade an Schimpfwörtern, die ich bis zu diesem Tag gar nicht als Teil meines Repertoires erachtet hatte …
Es war einmal das Buganker-Manöver meines Freundes Alexander bei stürmischem Seitenwind, das nach vier ambitionierten Fehlversuchen so perfekt gelang, dass der Bugmann applaudierte. Und darob vergaß den Anker fallen zu lassen …
Es war einmal ein überaus geräuschintensives Längsseits-Manöver. Drei Zehnjährige hatten sich unmittelbar davor mit überwältigend lebensbejahendem Engagement („Paaaapaaaa, des is uuuurfaaad!“) den Fender-Knoten beibringen lassen. Vor lauter Begeisterung über die Gelehrigkeit der Jugend fiel keinem an Bord auf, dass die phänomenal professionell festgemachten Gummi-Puffer jeweils einen halben Meter über der Kaimauer baumelten …
Es war einmal ein nächtliches Bojen-Manöver bei Starkwind, das nicht nur den Bootshaken das Leben kostete, sondern auch den Halter selbigen Gerätes in hohem Bogen und voller Montur über die Reling schleuderte. Die positive Erkenntnis: Der Aufblasmechanismus seiner Rettungsweste funktionierte einwandfrei …
Es war einmal das von meinem Freund Stephan perfekt befolgte Kommando während eines schwierigen Hafenmanövers: „Wirf dem anderen Skipper die Leine zu!“ Leider hatte ihm vorher keiner befohlen, den Bunsch zu öffnen und zumindest einen Tampen der Leine in der Hand zu behalten … Ein Ereignis, das übrigens später Einzug in die Weltliteratur hielt: „Wirf das Netz aus, Obelix!“ („Die große Überfahrt“ ; Asterix, Band XXII.)
Es war einmal die Dinghi-Fahrt meines Freundes Heimo, der nach seiner Heldentat – Ausbringen eines Zweit-Ankers – plötzlich das Beiboot weder lenken noch den Außenborder abstellen konnte. In Folge raste er mit dem inzwischen zum Weltkulturerbe erhobenen Schrei „Hölft’s ma! Hölft’s ma!“ mit Vollgas an der verblüfften Crew vorbei und kerzengrade gegen einen Felsen. Das Schlauchboot sprang wie ein Flummi zurück, der manövrierunfähige Steuermann landete nach beherztem Rodeo im Hafenbecken …
Apropos Hafenbecken. Da lehn‘ ich also, ich armer Tor. Und rede mir ein, dass die eben erlebten zwei Minuten nicht einmal halb so peinlich waren, wie die Missgeschicke der durchaus ruhmreichen Vergangenheit. Schuld war diesmal sowieso der Vercharterer, der es gewagt hatte die raufgeklappte Badeleiter per Gummibändsel zu fixieren.* Und das gab beim Versuch die Landleine zurück zu nehmen nach. Platsch!
Selbstverständlich passiert einem das nicht an einem einsamen Pier mit dem Blinden Pew als einzigem Zeugen, sondern vor geschätzten 43 und gefühlten 1.000 nichtzahlenden Zuschauern im Stadthafen von Hvar. Wenn diese und vor allem die eigenen Crewmitglieder es nicht einmal wagen ihrer Schadenfreude freien Lauf zu lassen, sondern stattdessen abenteuerlich groteske Grimassen schneiden um sich das Lachen zu verbeißen, dann wird dir nach und nach klar: Ja, das war peinlich!

* Vorsicht, der hier beschriebene Vorgang ist tatsächlich eine ernstzunehmende Falle bei der Sun Odyssey 53 und einigen anderen Yachten. Es empfiehlt sich, das Gummi-Bändsel gleich zu Beginn des Törns gegen ein normales Bändsel auszutauschen.

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