Ignaz, der Elefant

Warum gibt es Wesen, denen man einfach nicht böse sein kann, obwohl sie alles dafür tun?

Ignaz, der Elefant

Zwei Dinge muss ich vorausschicken: Erstens hatte ich einen ausgewachsenen Elefanten an Bord. Und zwar fast ein Jahr bevor der Babyelefant zum Lieblingshaustier der Österreicher wurde. Zweitens verfüge ich über dessen ausdrückliche Genehmigung, ihn zum Titelhelden dieser Kolumne machen zu dürfen.

Samstag – a star is born: Ignaz, ein gemütlicher, liebenswerter Kerl mit 125 Kilo Lebendgewicht, tritt mit zwei Sporttaschen zu je 20 Kilo auf das landseitige Ende der Passarella. Selbige schnalzt in die Höhe, reißt das Kabel aus der Stromsäule und plumpst ins Hafenbecken der Stadt-Marina Zadar. Der etwa zwei Meter große, sehr kräftige Marinero Goran verhindert unter Einsatz seines Lebens, dass auch Ignaz zwischen Schiff und Steg verschwindet. Im zweiten Anlauf gelingt es Ignaz unter dem tosenden Applaus der Nachbar-Crews, den Sambesi zu überqueren. Allerdings zerbröselt er eine Sekunde später mit der Ferse den Kunststoff-Deckel über dem Stutzen der Notpinne. Und Goran sagt zu mir: „No problem, aber winsche dir viel, viel Glick fir diese Woche!“

Sonntag: Skipper brauchen oft ein drittes Auge, speziell wenn Kinder an Bord sind. Heute richte ich dieses Auge auf den zehnjährigen Buben, der sich erstmals in seinem Leben auf einem Segelboot befindet. Der aber turnt sicher wie ein Schimpanse herum. Nach zehn Minuten ist klar: Ich brauche zwei Augen für das andere exotische Tier an Bord. Ignaz hat bereits ein Cut knapp über dem Rüssel und einen abgebrochenen Brillenbügel zu verzeichnen. Die Laute-Kombination „Bumm! Aua!“ wird zum Running Gag des Törns. Zum Glück hat er keine Stoßzähne, sonst würden wir sinken.

Montag: Die zarte Agnes steht im Niedergang, um Segel zu setzen. Ignaz muss genau jetzt seine Kamera holen. Kurz danach sind beide so verkeilt, dass sie weder vor noch zurück können. Agnes muss minutenlang von ihrem Mann beatmet werden.

Dienstag, ACI-Marina Žut: Ich öffne die Backskiste nur einen Spalt, um den Strom-Adapter rauszunehmen. Fehler! Ignaz trampelt genau in diesem Augenblick auf die Bank. Die scharfe Kunststoff-Kante schneidet mir den Nagel meines rechten Mittelfingers ab. Eine Hundertstelsekunde früher wäre zumindest ein Finger weg gewesen. Ich versuche erstmals ein bisserl böse auf Ignaz zu sein. Er macht das Attentat am Abend mit einer Gitarren-Session wett. Völlig unbegreiflich, wie ein dermaßen ungeschicktes Wesen in vollendeter Perfektion mit einem Zupfinstrument umgehen kann. Normalerweise können Elefanten nur trompeten.

Mittwoch: Dieselben virtuosen Finger machen gegen jede physikalische Logik anstelle der Muring die dünne Hole-Leine an der Vorderklampe fest. Der Zehnjährige bereinigt den Fehler unaufgefordert und blitzschnell.

Donnerstag: Ignaz kocht acht steinharte Frühstückseier, vergisst beim Kaffeekochen den Filter, zerstört mein sechzig Jahre altes Bierkrügel-Unikat und setzt sich schließlich auf seine Gitarre.

Freitag, Badestopp: Ignaz geht Schnorcheln, verliert die Orientierung, gerät in die Strömung, wird beinahe von einer riesigen Jadrolinija-Fähre überfahren und sagt: „Uijeh! Jetzt geht mir langsam die Kraft aus.“ Rein zufällig trägt mir ein Windstoß diesen viel zu leise gesäuselten Hilferuf zu, ich schwimme mit Landleine und Fender zu Ignaz und ziehe ihn zurück zum Schiff. Bevor ich schimpfen kann, umarmt mich Ignaz und keucht mit Tränen in den Augen: „Jürgen, mein Lebensretter!“ Sein Liebesanfall bringt mich an den Rand eines Bandscheibenvorfalls. Irgendwie kann ich ihm nicht böse sein. Der Törn ist ja fast überstanden.

Samstag, Bootsübergabe: „No problem“, sagt Goran zu den paar kleinen Schäden an Bord. Uff, wir haben es geschafft! Als ich vom Büro-Container zurückkomme, übergibt mir Agnes ein Holzbrett: Eine abgebrochene Stufe des Niedergangs. „Er wollte mit beiden Reisetaschen gleichzeitig … naja, du weißt schon …“, seufzt sie. „Hab‘ ich noch nie erlebt, aber no problem“, sagt Goran mit dem Akku-Schrauber im Anschlag. „Bei die nächste Mal, du sagst mir vorher, dass du hast in die Crew eine Elefant. Und dann du charterst Arche von Noah.“

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