Herr Summacumlaude an Bord

Manche haben einfach alles im Griff – von Suezkanal bis Pandemie, von Fußball bis Kricket, von Erderwärmung bis Weltpolitik

Herr Summacumlaude an Bord

Ich bin sehr erleichtert, dass es im Binnenland Österreich fast so viele Containerschiffwiederflottmachungsexperten wie Fußballteamchefs gibt. Eine ganze Armada von Pandemiebewältigungskonsulenten hatte ja kurzfristig umgesattelt, nachdem ein Ozeanriese im Suezkanal steckengeblieben war. Derzeit liegen die Hobbyteamchefs wieder voll im Trend, nachdem unverständlicherweise schon wieder ein echter Profi das Geschick der Fußballnation übernommen hat.

Okay, jetzt muss sich Herr Summacumlaude eben auf eine seiner unzähligen anderen Kernkompetenzen konzentrieren: Schmelzende Polkappen, steigender Meeresspiegel, chinesische Fischfangflotten bei den Galapagos-Inseln und Wetterphänomene, für die – abgesehen von Herrn Summacumlaude – weltweit kein einziger Fachmann eine Erklärung hat. Hoch im Kurs stehen derzeit auch Militärstrategen und Alternativenergievisionäre.

Daheim vor dem Bildschirm gibt es eine watscheneinfache Methode, sich all diesen wissenschaftlichen Expertisen zu entziehen: Klick! Raus aus den Social Media, rein ins Segelboot. Am Stammtisch ruft man „Bitte zahlen!“, wenn man genug gehört hat – und fährt zur Marina. Im Büro kann man Arbeit vorschützen, falls einem das Geschwurbel zu bunt wird – und dann geht man Segeln.

Doch was – zum Teufel – tut man als Skipper einer 13 Meter langen Yacht während einer 13 Stunden langen Überfahrt? Wenn unterbeschäftigte Segler zu Wissenschaftlern aller erdenklichen Fachgebiete mutieren? Kielholen ist aus der Mode gekommen. Über-Bord-Schmeißen ist nur indirekt human, aber illegal. Mangels Mastkorbs, kann man einen solchen Kapazunder nicht einmal in den Ausguck verbannen.

Skipper-Kollege Kurt aus dem wunderschönen Ostseehafen Lübeck schildert seine diesbezüglichen Erfahrungen in der gewohnt trockenen Art eines Hanseaten: „Ich hatte schon Außenminister, Bischöfe, Schnulzenkönige, Tyrannen, Ayatollahs und sogar den Papst an Bord“, erzählt er. „Der einzige, der echt war auf meinem Narrenschiff, war der Schlagersänger. Der trug ganz wesentlich zu meinem Wohlbefinden bei, weil er weder sang noch quasselte.“ Und dann das genial einfache Rezept gegen Möchtegern-Diktatoren, verkannte Genies und Pseudostars: „Sag‘ gar nichts. Lass‘ sie mal reden. Früher oder später widersprechen sie sich selber.“

Die Idee imponierte mir auf Anhieb! Kurt erzählte mir von einem Freizeit-Staatsanwalt, der irgendwo zwischen Monaco und Korsika drakonische Strafen für unverantwortliche Skipper forderte. „Gegen Ende seiner elendslangen Ansprache wurde er immer leiser.“ Da sei dem unbarmherzigen Phantasie-Juristen nach und nach klar geworden, dass er aufgrund seiner eigenen Verfehlungen längst selbst hinter Gittern sitzen sollte. Nachsatz von Kurt mit dem Grinsen eines Breitmaulfrosches: „Er verstummte, bevor ihn auch nur einer von uns unterbrechen wollte.“

In derselben Woche, in der Kurt meinen Kurs gekreuzt hatte, befand sich ein offensichtlich allwissender Sportexperte bei mir an Bord. Der dozierte über die Champions League, Kieler Woche, America’s Cup, über Wimbledon und sogar über Kricket. Schließlich erklärte er uns mit dem Brustton der Überzeugung, dass Erfolge im Wintersport nichts mit den Bergen zu tun hätten: „Da gibt es ein spezielles Chromosom, das eben nur Schweizer und Österreicher in sich tragen.“ Genau dieses Ski-Gen, wie er es nannte, verhindere Erfolge in den Sommersportarten. An diesem Punkt konnte ich einfach nicht mehr den Mund halten. Entgegen der genialen Taktik des weisen Kurt stellte ich zwei Zwischenfragen: „Wie erklärst du dir, dass die österreichischen Segler immer wieder Medaillen machen? Und wieso haben wir einen Schwimmweltmeister [Anm.: Felix Auböck], der weder Eis noch Schnee braucht?“ Die ebenso verblüffende wie entwaffnende Antwort des Rundum-Experten für überhaupt alles: „Ist doch logisch: Klimawandel!“

Ich geb’s auf.

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