Von Bulldoggen und Sträflingen

Erinnerungen an die legendären Abenteuer im Hintergrund großer Sport-Events

Von Bulldoggen und Sträflingen

Olympia steckt in der ärgsten Krise seit dem Krieg. Bedrohlich auch für Spitzensegler. Seit Wochen denk’ ich nach, wie ich Österreichs erfolgreichste Sommersportler bei Laune halten könnte, damit sie nicht die Segel streichen. Dann der Geistesblitz: Journalisten wissen zwar viel über Sportler; Sportler aber nix über Journalisten. Dabei ereignen sich am Rande der Big Events unvergessliche Klamauk-Szenen.

1988: Preussers Olympia-Debüt. Flug Seoul–Pusan. Im Seglerdorf empfängt mich ein Funktionär: „Fliegen Sie wieder zurück! Vier Jahre schert sich keine Sau um uns Segler, und bei Olympia sind wir plötzlich interessant.“ Ungerechtigkeiten lassen mich heute wie damals explodieren: „Sie haben Ihren Job verfehlt!“, brülle ich. Cheftrainer Georg Fundak, wird Ohrenzeuge meines Wutanfalls und erteilt dem Kasperl einen denkwürdigen Rüffel, gewürzt mit unvergleichlichem ungarischen Akzent: „Gehst du wo Pfeffär wächst! Sonst schwimmst du bei die Tigärfischä mit große Zähnä!“ Das Wort Hai ist dem Georg nicht geläufig. Später geh ich mit ihm essen: „Kenn ich Lokal, was hat bestä Bulldogge von Asien!“ Ich bin schockiert! Fundak meint aber die koreanische Spezialität Bulgogi, die nicht aus Hund, sondern aus Rind gemacht wird.

1992: Regattatag 1 mit vielen Österreichern. Ich hetze durch Barcelona, um das Presseboot zu erreichen. Shit! Es legt grad ab! Höhnisch ruft mir der Kollege vom Revolver-Blatt „Täglich alles“ zu: „Siehst! Wir sind immer schneller!“ Nach hundert Metern stirbt der Außenborder ab. Wind: ablandig, 5 Beaufort. Funkgerät defekt. Schlauchboot dümpelt Richtung Italien. Der blitzschnelle Kollege füttert auf jedem der fünf Regattakurse die Fische, kriegt aber keinen einzigen Segler zu Gesicht. Spät abends im Pressezentrum begrüße ich den durch fünfstündiges Dauerkotzen inzwischen auch international berühmt gewordenen Kollegen: „Darf ich aus deiner Gesichtsfarbe schließen, dass du in Zukunft wieder über Rapid schreibst?“ Seine Antwort ist selbst für „Kläglich Alles“ nicht druckreif.

1995: Hans Spitzauer steht knapp vor dem Sieg bei der Finn-WM vor Melbourne, wo gerade die Australian Tennis Open mit Thomas Muster beginnen. Reporter-Legende Hermann Fuchs bekommt aus Wien den Auftrag, darüber zu berichten. Ich lade den alten Grantscherm von der Konkurrenz auf die Fahrt nach Black Rock ein. Genau bei unserer Ankunft, steht Spitzi als Weltmeister fest. Ich schlüpf‘ aus den Schuhen und helfe ihm mit seiner Jolle. Fuchs bleibt am Strand und lauscht gelangweilt dem brandaktuellen Interview. Der neue Weltmeister unterbricht mich: „Herr Fuchs, wollen Sie mich auch etwas fragen?“ „Nein. Sie spielen nicht Tennis“, grummelt der Tennis-Papst. Drauf Spitzauer: „Ich geb‘ Ihnen trotzdem eine Antwort: Die Flut kommt, und sie stehen bis zu den Knöcheln im Wasser.“ Fuchs blickt verstört auf seine im Schlick versunkenen Milano-Schuhe: „Ich hab’s gleich g’wusst: a bleda Sport!“

1996: Im olympischen Segelrevier vor Savannah sieht es aus wie in Oggau: Um ins Regatta-Revier vorzudringen, muss man einen breiten Schilfgürtel überwinden. Nur dass drüben nicht Illmitz, sondern die Bermudas liegen. Wir Reporter warten seit einer Stunde auf einem Presseboot mit zwei 450-PS-Motoren. Endlich erscheint ein Fahrer ohne Rettungsweste, startet und gibt Vollgas. Ein Japaner büßt eine Kamera ein, ein anderer seine Brille, ein Belgier klammert sich an die Reling und betet, alle anderen hocken verängstigt am Boden. „Yippeee! I‘m Kenny the lunatic!“ johlt der Fahrer (Kenny, der Irre) und rast mit rund 60 Knoten knapp an einer Schilfinsel mit einem großes Haus vorbei. Einer der Fotografen kommentiert very british: „Zu Ihrer Linken sehen Sie das Georgia State Penitentiary, eine Strafanstalt für geistig abnorme Motorbootfahrer. Einer der Sträflinge aus dem Hochsicherheitstrakt ist seit gestern flüchtig.“

Brexit, Corona, Boris Johnson: Irgendwie lieb‘ ich die Engländer trotz allem.

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