Begrenzt sinnvoll

Die dampfende Tasse Darjeeling Second Flush und ein paar Vanillekipferln vor mir auf dem Tisch, im Hintergrund das von Lars Vogt gespielte Scherzo in Es-Moll op. 4 von Johannes Brahms – so lasse ich mir einen Adventabend gefallen! Ein Klingeln an der Haustür unterbricht die harmonische Stimmung. Ich öffne und werde mit einem strahlenden Lächeln belohnt: Das Weihnachtsengerl. Vergessen sind Brahms, Tee und Kipferl, wir fallen uns in die Arme. Während wir Höflichkeiten austauschen und Fragen nach dem gegenseitigen Wohlergehen stellen, huscht immer wieder ein leiser Schatten über das Antlitz des Gefiederten. Im Wohnzimmer angelangt, frage ich daher nach: „Bedrückt Dich etwas, himmlischer Freund?“
Zuerst schweigt das Engerl, doch dann hebt es, mit viel Emotion, zu einer Antwort an: „Mir scheint, die Macht der Himmlischen neigt sich langsam dem Ende zu.“ Einigermaßen verwirrt ob dieses fast häretisch anmutenden Ausbruchs weiß ich darauf nichts zu sagen. Das Engerl hingegen kommt in Fahrt: „Nimm die jüngste Entscheidung des ISAF-Council in Estoril. Nein, und ich meine jetzt nicht den Rauswurf des Tornado aus dem olympischen Programm – da lassen sich noch ein paar Argumente dafür finden, auch wenn ich die Aufregung in der Alpenrepublik verstehe. Der eigentliche Wahnsinn ist ein anderer: die mangelnde Planungssicherheit.“ In Erwartung genauerer Ausführungen blicke ich das Engerl an. „Ist dir noch nicht aufgefallen, dass nur etwas mehr als eine Olympiade vor den Wettkämpfen – dir brauche ich ja wohl nicht sagen, dass damit der Zeitraum von vier Jahren gemeint ist – über die jeweiligen Klassen entschieden wird? Ist Dir klar, dass damit eine mittelfristige Planung für die Sportlerinnen und Sportler schwierig bis unmöglich wird? Kannst Du Dir vorstellen, wie es Nachwuchsseglern geht, die sich gleichsam über Nacht umorientieren müssen? Hat irgendjemand den Verantwortlichen gesagt, dass…“ Das Engerl redet sich in Rage und ich habe Mühe, dem Wortschwall zu folgen. Schließlich verstummt der Gefiederte. „Und ihr konntet wirklich nichts tun?“ frage ich. „Nichts. Wir Engelscharen haben es echt probiert, aber da ging einfach nichts. Ich habe schon kurz überlegt, ob ich mich beim Allerhöchsten über den freien Willen dieser – entschuldige, aber das musste jetzt sein – beschwere. Aber da versteht Er keinen Spaß.“ „Keine Hoffnung also?“ „Derzeit nicht, glaube ich.“
Wir sitzen eine Weile schweigend da. Schließlich seufzt das Weihnachtsengerl noch einmal tief und nach inniger Umarmung und der hiermit nachgekommen Bitte, meinen Leserinnen und Lesern die notwendige Handbreit Wasser unter dem Kiel zu wünschen, entlasse ich es durch das Fenster in die Nacht.

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