Gentlemen, es war mir eine Ehre

Positives Denken ist auch während der Mutter aller Seeschlachten von entscheidender Bedeutung

Gentlemen, es war mir eine Ehre

Herbst 2012, Eckercup, 1000-Meilen-Rennen, allerletzte Auflage. Irgendwo im Gewitter zwischen Kreta und Alanya schlagen ein paar Meter neben uns zwei Blitze ein. Dass Meer ist hier knapp 4.000 Meter tief, weshalb mir unvermittelt ein berühmter Spruch einschießt. Und zwar der des Kapellmeisters auf der Titanic während des Untergangs: „Gentlemen, es war mir eine Ehre, heute mit Ihnen spielen zu dürfen!“

Besagte Gentlemen auf unserer Mary One: Kein Musiker, aber ein Architekt, ein Apotheker, ein Arzt, ein Baumeister, ein Generaldirektor, ein Unternehmer, ein hoher Beamter und meine skipperliche Wenigkeit, ein Journalist. Wer fehlt? Ein Profi-Segler. Doch zumindest beim Trainingstörn war das anders: Im Frühling hatten wir Dominic M. an Bord. Der Europameister zeigte uns Trimm- und Steuertricks (bitte nicht falsch verstehen: Es ging nicht um Kreativbuchhaltung, sondern ums Segeln). Vor allem aber lehrte uns Dominic M. die hohe Schule des positiven Denkens: „Ihr müsst einander loben für euren Einsatz, für jeden Handgriff, bei jeder Tätigkeit. Das steigert die Moral und fördert die Leistung!“

Der Haken: Ergrauten Mittfünfzigern aus dem Dunstkreis der Welthauptstadt der Pessimisten fehlt für eine derartige Umstülpung der Weltanschauung der nötige Ernst. Trotzdem versuchten wir, unserem Yoda Dominic zu gehorchen: Loben, loben, loben…

Los geht’s: Einhundert und fünf Kilo Baumeister verlieren bei rauer See das Gleichgewicht, stürzen auf den im Salon schlummernden Unternehmer, schütten ihm einen Becher Joghurt ins Gesicht und zerquetschen einen zweiten in dessen offenem Ölzeug-Kragen. Darauf der unterlegene Unternehmer: „Wie weitblickend von dir, dass du dich für das Joghurt und nicht für die Knoblauchcremesuppe entschieden hast.“

Arzt zum Apotheker: „Gut, dass du während deinem Bereitschaftsdienst so leise und regelmäßig geschnarcht hast!“
Apotheker zum Arzt: „Gut, dass deine schlimmsten Eintragungen im Logbuch nur so unleserlich sind wie deine Rezepte.“
Arzt zum Apotheker: „Gut, dass mir deine Zigarettenasche ins Aug‘ geflogen ist, sonst wäre ich womöglich an der Genua-Schot eingenickt.“

Hoher Beamter zum Generaldirektor: „Faszinierend, wie du in der Nacht bei zwanzig Knoten Wind ohne Anhalten über die Reling pinkelst. Noch dazu auf der richtigen Seite!“

Generaldirektor zum total übermüdeten Beamten, der das Ruder nicht auslassen will: „Atemberaubend, dass du mit geschlossenen Augen fast genauso gut steuerst wie mit offenen.“

Architekt zum Journalisten: „Eine akrobatische Meisterleistung, dass du dir nur eine Zehe blutig geschlagen hast. Wer weiß, wie das ausgegangen wäre, wenn du auch noch Schuhe angehabt hättest!“

Apotheker zum Generaldirektor: „Sehr umsichtig, dass du dein nasses Ölzeug auf meinem Schlafsack trocknen lässt, während ich gerade an Deck Wache habe!“

Unternehmer zum Baumeister: „Du strebst danach, in die Geschichte einzugehen? Als erster Rudergänger, der gegen den Wind segeln kann? Bravo, ich habe auch in meiner Firma stets eine Schwäche für Mitarbeiter, die sich unerreichbare Ziele setzen!“

Herr Generaldirektor schaukelt während der Siegesfeier in Alanya mit dem Sessel und überschlägt sich Sekundenbruchteile später achteraus über zehn Stufen einer Marmorstiege. Kommentar des Arztes: „Wie tapfer du deine erheblichen Verletzungen ohne zu jammern erträgst.“ Ergänzung des Baumeisters: „Und wie heldenhaft du dir noch im Liegen einen weiteren Gin-Tonic bestellt hast!“

Journalist zum Architekten nach der Siegesfeier: „Ich finde es vorbildlich, wie du auch noch mit drei Promille über die Passarella schreiten kannst, ohne im Hafenbecken zu ertrinken!“

Verdammt, wir haben mit unserer albernen Lobhudelei doch tatsächlich unsere Klasse gewonnen! Jetzt muss ich als Skipper schleunigst die alte Ordnung herstellen. Gegenseitiges Anfäulen und Angranteln ist ja ohne Zweifel Teil unseres Kulturerbes:

„Gentlemen, es war mir eine Ehre, mit euch kindischen Affen segeln zu dürfen!"

Weitere Artikel aus diesem Ressort

Ressort Abdrift

Die Fähre aus dem Nirgendwo

Manöverkritik. Gelegentlich sollte man touristisches Verhalten überdenken und korrigieren, bevor es ein ...

Ressort Abdrift

Quasti

Vorsätzlich. Für 2024 habe ich den Plan gefasst, mir von niemandem die Laune verderben zu lassen. Schon ...

Ressort Abdrift

Zwischen Trogir und Kangchendzönga

Lauschangriff. Törnbesprechungen fremder Crews sind mitunter lehrreich. Oft aber auch verwirrend

Ressort Abdrift

Artenvielfalt bei Panagiotis

Skipper-Typen. Zufallsbegegnungen unter dem Wellblech-Dach einer griechischen Taverne

Ressort Abdrift

Gevatters allerletzter Törn

Lehrstunden. Die unverwüstliche Weisheit eines schlauen Seehundes mit Charakter

Ressort Abdrift

Zwölf Beaufort in der Mailbox

Zehn Jahre Abdrift. Gelegentlich schreibt allerdings das echte Leben die besten Satiren