Nosferatu, Alberich, Mörderhecht und andere böse Buben

Nummer 100. Seit Juli 2013 ist in jeder Yachtrevue-Ausgabe eine Abdrift-Kolumne erschienen. Anlässlich dieses Jubiläums erinnert sich Jürgen Preusser an diverse persönliche Begegnungen der besonderen Art

Nosferatu, Alberich, Mörderhecht und andere böse Buben

Es gibt Menschen, die haben durch das Tragen der Maske unheimlich gewonnen. Einer von denen ist Franz. Der g’standene Elektriker hat sich bei einer Patenthalse vor Triest die komplette rechte Hälfte seines Gebisses ausgeschlagen. Franz ist steinreich, hat sich aber trotzdem entschlossen seine Beißer nicht vergolden zu lassen. Er ließ stattdessen seine Yacht generalüberholen – also quasi vergolden. Gerade so als wäre diese an seinem unglücklichen Manöver schuld gewesen.

„Die Elektrik moch‘ i ma söba“, ließ Franz den Capo der italienischen Handwerker-Crew wissen. Und er lieferte auch gleich eine internationale Simultanübersetzung (vermutlich Esperanto), um klarzustellen, dass er auf diesem Gebiet nicht den geringsten Spaß verstehe: „Tutto Elektro ego selfo, kapischo?“ Diese unmissverständliche Absichtserklärung führte in weiterer Folge dazu, dass eine Stichflamme aus dem Batterieraum die rechte Hälfte seines Gesichts entscheidend und nachhaltig verwüstete. Da er nun schon seit fünf Jahren ausschließlich links kaut und rechts blinzelt, hat sich sein Antlitz irreparabel grotesk verformt. Gerade so, als hätte ein kreativer Installateur an Franz eine plastisch-chirurgische Silikonbehandlung getestet. Angeblich hatte ein Hollywood-Scout Franz bereits für eine Quentin-Tarantino-Neuverfilmung von Nosferatu im Visier. Doch dann kam die Maskenpflicht. Seither ist Franz relativ hübsch.

Bin mir sicher: Franz zählt in jeder Hinsicht zu den schrägsten Figuren, die mir im Laufe meines Seglerlebens untergekommen sind. Anlässlich der hundertsten Abdrift-Kolumne halte ich den Zeitpunkt für gekommen, einige dieser Menschen vor den Vorhang zu bitten. Manche davon natürlich anonym oder unter falschem Namen. Denn einen Prozess-Tsunami würde ich ebenso wenig aushalten wie die Brachialgewalt der beschriebenen Figuren.
Es war einmal ein Dachdeckermeister aus Bayreuth. Ein Ebenbild des Fabelriesen Fafner, der in der Wager-Oper Rheingold seinen Bruder Fasolt erschlägt. Ich war sicher, dass Fafner ausschließlich seine Lehrbuben in den Dachstuhl schickt. Andernfalls hätte er seine Dächer aus Titantraversen fertigen müssen. Bis sich auf seiner Yacht zwei Leinen im Masttopp verhedderten. Der 2-Meter- und 170-Kilo-Riese stürmte den Mast empor, als könnte er senkrecht laufen. Gesichert nur von einem einzigen Männchen, das in Rheingold den Zwerg Alberich hätte mimen können.

Ähnlich beeindruckend der Schwyzer Urs mit der Figur eines mehrspurigen Nutzfahrzeugs. Übrigens aufgrund seiner beiden zentimeterbreiten Zahnlücken ebenfalls ein Corona-Masken-Profiteur. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der gewaltige Eidgenosse den Bugkorb des Nachbarschiffs mit bloßen Händen zurechtgebogen hat, nachdem er diesen beim Anlegemanöver eingedrückt hatte. Als der kleinliche Nachbar den Vorfall trotzdem der Versicherung melden wollte, ließ ihn das Schwyzer Ungetüm wissen: „Chasch mer am Ranze hange!“ Angesichts des Volumens des Schweizers hätte der Nachbar einen Klettergurt benötigt, um dieser Aufforderung folgen zu können. Denn der Spruch bedeutet: „Du kannst dich an meinen Bauch hängen.“ Frei auf Wienerisch: „Du kannst ma de Schuach aufblosn!“

Simmering gegen Kapfenberg

Genau diesen Satz brüllte wiederum ein Kettenraucher namens Mörderhecht – so sein echter Spitzname – in einer gänzlich verhaltensauffälligen Crew aus Wien-Simmering. Ein überambitionierter Rivale hatte während der Vorstartphase einer Langstreckenregatta mit dem Ruf „Raum!“ völlig zu Recht seine Vorfahrt eingefordert. Bugmann Mörderhecht ignorierte das Ansinnen und ließ den Gegner obendrein noch wissen: „I schreib‘ da a Onsichtskart’n aus Türkien, wonn ma im Züü san!“

Apropos Ziel: Dort ereignete sich zwölf Tage später eine handfeste Schlägerei in einer Nachtbar. Der schmächtige Simmeringer büßte dabei einen Schneidezahn ein. Ich weiß nicht, wie sein Kontrahent aussieht und ob der tatsächlich Killerkarpfen hieß, weil er aus Kapfenberg stammt, wie angebliche Augenzeugen behaupten. Der Vorfall liegt immerhin schon 18 Jahre zurück. Damals kamen mir erste Zweifel, ob Segeln tatsächlich so eine noble Sportart ist. Inzwischen weiß ich, dass auch Golfspieler das Einserholz mitunter nicht für besonders weite Abschläge, sondern als Nahkampfwaffe nutzen.

Auch ein gewisser, mir sehr vertrauter „Ingenieur Gregor“ verhält sich nicht zwingend wie ein Absolvent der Tanzschule Elmayer. Vor allem, wenn man ihm beim Anlegen das Ruder überlässt: Ob im Hafen von Ydra, Hvar, Korcula, Bonifacio oder Palermo – Gregor ignoriert die geduldig wartenden Yachten ebenso hartnäckig wie den hysterisch fuchtelnden Marinero. Er brüllt – wenn erforderlich – mitten im Hafenbecken „Anker fallen!“ und presst sich mit gefühlten zehn Knoten unter Triumphgeschrei in die einzige freie „Parklücke“. Am Steuerrad ist Gregor Mr. Hyde, an Land Dr. Jekyll. Dort entschuldigt er sich umgehend höflich und in aller Form bei der verstörten Hafen-Crew. Und bei den verärgerten Yachties, sofern die irgendwann doch noch einen Liegeplatz ergattert haben. Gregors Crew pflegt erst während der Abenddämmerung aus dem Salon zu kriechen, wo sie sich bis dahin fremdgeschämt hat.

Dann ist da natürlich noch mein Freund Whity. Seinen Spitznamen brauch‘ ich nicht zu ändern, obwohl seine Handlungen grundsätzlich den Tatbestand der Piraterie erfüllen: Whitys Superkraft besteht darin, harmlose Fischer aus dem Hinterhalt zu überfallen, ihr Boot mit einem Kübel in der Hand zu entern, ihnen den gesamten Tagesfang abzunehmen, zurück auf die eigene Yacht zu springen und die Ware umgehend im Backrohr schmoren zu lassen. Mit Kräutern, die er vorsorglich schon im Morgengrauen eigenhändig gezupft hatte. Zum Glück kann er sich auf seine Crew verlassen, die den verschreckten Fischern hinter Whitys Rücken heimlich den doppelten Preis zahlt, den man auf dem Fischmarkt bezahlt hätte. Einer der Lieblingssätze des Kärntner Piraten: „Schode, doss do kane Erdäpfelbauern umadumschippern!“ Whity ist jedenfalls einer von jenen Menschen, die aufgrund ihrer Taten auch nach Ende der Pandemie unbedingt eine Gesichtsmaske tragen sollten.

*

Ich wünsche all den Typen, die über vier Jahrzehnte auf unterschiedlichste Art und Weise meine Segeltörns bereichert haben, ein langes und gesundes Seglerleben. Denn ohne sie und ihresgleichen wäre die „Abdrift“ etwa so spannend und unterhaltsam wie das Telefonbuch von Stixneusiedl.

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