Flautenkoller

Kolumne Jürgen Preusser: Helden in völliger Windstille

Flautenkoller

„Schau“, sagt Waldo, der normalerweise schon beim leisesten Lüfterl nur durch Brachialgewalt oder geschäftliche Telefonate vom Steuerrad zu trennen ist. „Schau dir das Foto an! Ob du es auf den Kopf stellst oder richtig herum hältst: Es sieht genau gleich aus.“ Tatsächlich ist die Spiegelung eines montenegrinischen Berges im Wasser der Bucht von Kotor am Display seiner Kamera nicht vom Originalberg zu unterscheiden.
Was hatten wir uns alles vorgenommen in dieser Woche: Zwei baugleiche Boote, selbstverständlich mit Lattengroß. Und riesig, weil Länge bekanntlich läuft. Zwei Crews, geteilt nach Erfahrung und Talent. Wilde Wettfahrten von Dubrovnik nach Montenegro und zurück.
Was hatten wir uns alles erwartet von dieser Woche: pfeifende Oktoberwinde, peitschende Wellen, knallharte Männer im Ölzeug, Durchhalteparolen für die Haudegen am Vorschiff und heißen Tee mit Rum für den Rest.
Und jetzt das. Null Beaufort. Eine Woche lang.
Doch, Segler haben ein Herz für landschaftliche Schönheit. Aber nicht ausschließlich. Irgendwann werden die Felsenfestungen im ockergelben Abendlicht, die venezianischen Gässchen, die kitschigen Sonnenunter- und -aufgänge, die 1:1 gespiegelten Sternenhimmel, die rasend interessanten Heimatmuseen, die Kirchen, die ungeplanten Bergtouren und Badestopps fad.
Null Beaufort. Darüber redet kein Segler.
Doch worüber redet man dann? Über Badehosenmode? Über Sonnencreme? Über die feinen Unterschiede zwischen den gebunkerten Biersorten? „Ich habe mir genau ausgerechnet, wieviel Sprit wir pro Meile bei wie vielen Touren verbrauchen“, doziert Georg, der Techniker. „Na und?“ fragt Stephan und öffnet mit einem meilenweit hörbaren „Plopp!“ die letzte Rotweinflasche mit dem Esel auf dem Etikett. Es ist erst Dienstag und die Vorräte gehen bereits zur Neige. „Eine Böe, eine Böe!“ frohlockt Gerhard. „Ja, ja“, seufzt Rudi resignierend. „Und dort am Horizont ist eine Kamel-Karawane.“ Travarica, der buchstäblich atemberaubende balkanesische Kräuterschnaps, mag die eine oder andere Fata Morgana begünstigen.
Nein, da war keine Böe. Auch kein Kamel. Kein Garnichts. Die mit Abstand meisten Wellen schlagen die Außenborder der Dingis. Wobei die nächtliche Autodrom-Einlage von zwei Junggebliebenen mit den beiden motorisierten Gummiwürsten zumindest für ein paar Minuten die Konzentrationsfähigkeit der Skipper auf den Prüfstand stellt.
Höchste Aufmerksamkeit gilt vor allem den abgegriffenen, klebrigen Tarockkarten. Nicht auszudenken, würde eine davon über Bord gehen! Gut, davonfliegen können sie nicht. Und selbst ein Karo-König-über-Bord-Manöver wäre ein Kinderspiel. Ganz ohne Quick Stop oder Q-Wende.
Die B-Schein-Besitzer beginnen die weniger erfahrenen Segler mit Wissensfragen im Konjunktiv zu quälen: „Was würdest du machen, wenn der Wind von hinten käme, und du hättest …“ „Geh, bitte! Lern’ lieber Tarockieren.“ Ein Törn-Debütant fragt, wofür die vielen bunten Bänder dienen, über die er regelmäßig stolpert. Manchmal bin ich so müde.
Wenn unter Männern über die Neuordnung der Bestecklade in der Pantry und die Sauberkeit der Geschirrtücher an Bord gestritten wird, kann etwas nicht stimmen. „Segel setzen, volle Motorfahrt retour und Halsen üben“, schlage ich vor. Das kollektive „Bist deppat?“ erfüllt den Tatbestand einer Meuterei, ist mir aber wurscht. Die Frage „Weißt du eigentlich, wie viele Margarinesorten es gibt?“ stört mich deutlich mehr. Nein, weiß ich nicht! Will ich auch gar nicht wissen. Ich weiß aber eines: Es gibt Schrecklicheres als zehn Beaufort.
Nämlich null Beaufort.

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