Fluch der Karibik, Part II

Tränengas im Passatwind

Der Mihl (Anmerkung für Nichtkärntner: Als „Mi-Hl“ auszusprechen!) kam längsseits, kaum dass unser Eisen vor Bourg de Saintes gefallen war: Er ist Kärntner, Kateigner, seit zwei Jahren in der Karibik unterwegs und ankert seit zwei Wochen hier in den Saintes.

Er macht sein Dinghy an der Klampe der Mother Ocean fest, sagt gerne ja zu einem eiskalten Bier, auch wenns kein Schleppe ist, und gibt uns einen kenntnisreichen Situationsüberblick.

Der Mihl ist wirklich von einer ansteckenden Fröhlichkeit und deshalb kommen wir auch aus dem Lachen nicht mehr heraus, während er die bad news vor uns ausbreitet: Die Streikbewegung in Frankreich ist auf die Antillen übergeschwappt und Martinique, Guadeloupe und alle vorgelagerten Inseln taumeln von Tag zu Tag näher an den Rand der Zivilisation: „Aus dem Bankomat kummt nix mehr,“ sagt der Michl, „und af der gonzen Insel hot kana mehr a Göld. Des mocht oba gor nix, wal zum Kaufen gibt’s jo a bold nix mehr.“ Wir lachen uns schief.

Und es war dann auch alles andere als zum Weinen: Auf den bestreikten Saintes lebte es sich echt toll, Leute. Wir blieben drei Tage, entdeckten, dass zwar in der Bäckerei die Regale chronisch leer waren, der Getränkemarkt gleich bei der Dinghypier aber exzellent bevorratet ist. Und wenns beim Wirten kein Fleisch gab, aßen wir halt Fisch. Die Sonne lachte, die Palmen wiegten sich im Passatwind, die Buchten waren pflichtschuldig türkisgrün, und das Leben war schwer in Ordnung, generell gesagt.

Aber dann machten wir einen Fehler. Und deshalb müssen wir jetzt ein bisserl husten, während über uns die Hubschrauber kreisen und irgendwo draußen in Richtung Hauptstadt Schüsse fallen und Tränengaswolken aufsteigen.

Der Fehler war eine traumhafte Überfahrt bei vier Windstärken aus Nordost: Über tintenblaues Wasser rauschte Mother Ocean nach Guadeloupe hinüber und fädelte gegen Abend in eine Parklücke in der Bas du Fort-Marina ein: Würdiges Finale eines wunderschönen Törns, komplett mit Weichduschen unter Warmwasser, ausgedehnter Inseltour per Mietauto und dinieren in französisch-kreolischen Restaurants, richtig? Richtig???

Falsch.

Als wir in der Marina eincheckten, war die Welt noch in Ordnung, und beim nahegelegenen Wirten gab es auch noch ein exzellentes Steak zum Diner. Aber am nächsten Morgen begannen sich die nachdenklich machenden Beobachtungen zu häufen: Die stinkenden Müllberge auf der Wiese vorm Marina-Entree, komplett mit plattgefahrenen Ratten auf den Zufahrtswegen und geschäftig dahineilenden Cucarachas in schattigen Ecken, die vielen runtergelassenen Rollbalken, der Mietwagen, der zugesagt, aber ohne Angabe von Gründen nicht ausgeliefert wurde, die Menschenschlange vor dem Supermarkt, der seine Kundschaft nur mehr blockweise einließ, die Bäckerei, die Croissants nur noch in begrenzten Kontingenten verkaufte, und am Nachmittag dann erste Rauchwolken am Horizont.

Karin und Franz machten sich achselzuckend auf den Weg zum nächsten Badestrand und kamen ziemlich bald ziemlich beeindruckt zurück, weil sie zwar weder weißen Sand noch türkisgrünes Wasser gefunden hatten, dafür aber Barrikaden aus Schotter und Müll, brennende Reifen und massive Polizeiaufgebote. Naja, auf Guadeloupe bist halt in Frankreich, und da gehört gelegentliches Bastilleerstürmen bekanntlich zur Folklore, aber übertreiben die Burschen net ein bisserl? Wirklich wahr!

Wir blieben des Abends an Bord, priesen die weise Voraussicht, die uns den Weinvorrat hatte bis zur Kapazitätsgrenze aufstocken lassen, und die Susi entwarf als Abschiedsdinner ein sen-sa-tio-nelles Hühnercurry. Es roch nur irgendwie komisch. Nein, nicht das Hühnercurry, das roch nach 1A-Hühnercurry. Aber sagts amal… brennt da net was?

Wir stiegen an Deck und staunten Bauklötze: Über der Marina und den angrenzenden Wohnblöcken lag eine fette Wolke aus stinkendem Rauch, den die Suchscheinwerfer tieffliegender Helikopter geisterhaft beleuchteten.Dann hörten wir eine Fehlzündung. Ist doch eine Fehlzündung, oder? Bitte, bitte sagts mir, dass das eine Fehlzündung war! Und dann ging rundherum das Licht aus und die Fehlzündungen begannen sich so zu häufen, dass wir überm dritten Flascherl Beaujolais doch zugeben mussten, dass irgendwo da draußen doch wahrscheinlich irgendwie äh, naja, halt… geschossen wurde.

Vor dem Marinazaun marschierte dann uniformiertes Securitypersonal in Begleitung total missmutig aussehender Kampfhunde auf. Der Zugang zum Steg war mangels Strom für den Türöffner blockiert. Und auf den Booten rundherum wurden die Passarellas hochgezogen wie Zugbrücken.

Und als dann endlich alle schliefen, lehnte ich mit einem letzten Glaserl Wein in der Hand im Kat-Netz und wunderte mich, dass ich so fröhlich bin.

Weil seit dem Auslaufen am 24. Dezember in Grenada hatten meine Crews und ich unter anderem folgende schönste Ferienerlebnisse: Eine Nierenkolik, einen Rippenbruch, eine Riffüberquerung als Kontaktsportart, eine Fäkalüberflutung, diverses durchnässtes Gepäck, einen Ruderschaden, eine Kollision im Gefolge eines Motorausfalles , ein knappes Dutzend unvorstellbare Flugverspätungen aus den idiotischsten Gründen, diverses ins Nirwana umgeleitetes Gepäck … - und jetzt zum Drüberstreuen noch einen kleinen Volksaufstand auf Guadeloupe.

Bitte, Eisbergkollision hab ich noch keine geliefert, aber ich arbeite dran, glaubts mir.

Hmm. Ob meine Leut morgen rechtzeitig zum Flieger kommen werden? Man hört, die Straße zum Airport ist verbarrikadiert. Naja. Es muss jetzt wohl Mitternacht sein. Der Rauch ist spürbar weniger geworden und geschossen wird jetzt auch nicht mehr.

Mir fällt Moses James ein, der biogärtnernde Freiheitskämpfer aus Dominica mit seinem rastagelockten Bart. Elisabeth hat ihm verraten, dass unser Boot „Mother Ocean“ heisst. „I like dat!“ hat er gelächelt. Und dann hat er Elisabeth erklärt, dass das Meer es mag, wenn die Menschen ihm etwas vom Land mitbringen. Eine Flasche Quellwasser zum Beispiel. Oder eine Ingwerwurzel. Das bringt Glück, sagt Moses James.

Ich trete an den Bug und leere feierlich mein letztes Glas Beaujolais ins Wasser. Lieber Ozean, ich weiß, für Flughafenstrassen und Streikbarrikaden bist Du net zuständig, aber… - wär doch nett, wenn morgen mal zur Abwechslung alles glatt ginge. Bitte. Danke. Und jetzt gute Nacht, Mother Ocean!

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