Stairway to Hell
Der zwölfte Wharram Wanderbrief, verfasst vor Anker bei der Purple Turtle Bar in der Prince Rupert Bay, Dominica, wo das Internet 10 US-Dollar am Tag kostet, aber die Funkwolke bis zum Ankerplatz reicht.
So lässt sichs leben!
Alsdern – Dominica… - strahlend weiße Sandstrände? So gut wie keine. Türkisgrünes Wasser hinter freundlichen Korallenriffs? So gut wie keines. Gründe, trotzdem wieder herzusegeln? Ein paar Dutzend, und jeder einzelne ist überzeugend.
Fangen wir beim Zoll an: Einklariert wird durch das Ausfüllen zweier Formulare vor einer Amtstür, hinter der schallendes Gelächter hervordringt. Drinnen sitzen vier Uniformierte, tippeln Karten und wärmen sich mit passenden Getränken für den beginnenden Karneval auf, wie mir der Amtsleiter verrät. Und während er meine Papiere abstempelt, verrät er mir, dass ich gleich auch ausklariert bin - gern geschehen und noch einen schönen Aufenthalt!
Das ist die erste Begegnung mit der hier herrschenden, für karibische Verhältnisse wirklich außergewöhnlich zuvorkommenden Höflichkeit, mit der wir Weißbrote behandelt werden – und zwar von der Supermarktkasse bis zur Wasserpier und von der Polizistin bis zum Boatboy.
Ah ja – Boatboy! Meet Harrison: Er kommt lächelnd längsseits, stellt sich höflich vor, nimmt freundlich zu Kenntnis, dass wir keine Muringboje benötigen – und verrät uns gratis einen guten Ankerplatz. Und dann schlägt er uns für den nächsten Tag ein paar mögliche Touren vor. Victoria Falls zum Beispiel. Oder den Hatscher zum Boiling Lake.
Es ist nämlich so, dass auf Dominica die echten Sehenswürdigkeit im Hinterland warten. Und zu den spektakulärsten führt bestenfalls ein Fußpfad. Sicher keine Autostrasse.
Karin, Franz und ich investieren je 50 US-Dollar in den geführten Trip zum Boiling Lake - und es ist jeden Cent wert gewesen: Am Ende eines dreistündigen Aufstieges von alpinem Format warten die schwefel- und heißwasserspeienden Fumarolen des Valley of Desolation – und dahinter ein 67 Meter tiefer See, der von vulkanischer Aktivität auf seinem Grund permanent auf Kochtemperatur gehalten wird.
Harrison bringt uns rauf. Und danach zu einem badwannenwarmen, leicht schwefelig riechenden Bach, in dem wir unsere müden Füße baden. Und dann die ganzen Höhenmeter wieder runter. Der komplette Trampelpfad ist mit handgeschnitzten Holzschwellen im Eisenbahnschienenformat belegt und bildet eine Treppe, die gemütlich wäre, würde sie nicht passagenweise die Steilheit einer Haushaltsleiter und regenbedingt die Glätte einer Eislaufbahn annehmen.
Ich taufe sie „Stairway to Hell“ und keuche hinter Harrison her, der leichtfüßig von Holz zu Holz tänzelt und dabei in seiner Hosentasche serienweise Joints aus Naturtabak und einheimischen Kräutern wuzelt. Beim fünften Gerät höre ich zu zählen auf und als wir wieder ins Auto steigen, überrascht mich, dass unser Guide das Lenkrad und den Zündschlüssel findet.
Der Rest der Crew war derweil bei den Victoria Falls. Unter anderem. Geführt von Michel, dem Bildhauer, der irgendwann Herzprobleme bekam, Frankreich den Rücken kehrte und jetzt ein kleines Tourismusunternehmen auf Dominica betreibt.
Man wanderte nur zwei Stunden, fuhr ansonsten viel über gewundene Straßen und kehrte dann schließlich bei Moses James, der Rasta Legende, ein: Moses war einst Kämpfer für die Unabhängigkeit der Insel. Jetzt baut er auf seiner Farm Heilkräuter an, destilliert daraus Öle, und serviert gelegentlichen Gästen kreolische Vegi-Küche.
Und während man herzhaft zulangt, begegnet man wieder dieser fast unheimlichen Höflichkeit und Rücksichtnahme, die auf Dominica endemisch zu sein scheint:
Neben Karin sitzt ein Rasta wie aus dem Bilderbuch. Er zieht einen fetten Joint aus der Hosentasche. Und bevor er ihn anzündet, fragt er total höflich, ob es den Umsitzenden was ausmacht, wenn er…: „Do you mind if I light up my weed, madam?“
Also kurz gesagt: Bald wüssen wir weiter nach Guadeloupe, und da wartet der weiße Sand unter den rauschenden Palmen, aber Dominica…, also Dominica, da komme ich sicher wieder her. Aus wirklich guten Gründen. See you, people!