Schuld ist eindeutig der Raudaschl!

Lernprozess. Von Zahnärzten, Pfadfindern, Vietnam-Veteranen, Freistilringern und Profiseglern

Schuld ist eindeutig der Raudaschl!

Auf der Kreuz zwischen Pakleni Archipel und Insel Hvar. Ich komme einem Segler unter österreichischer Flagge zu nahe. „Wo host‘n du Segeln g’lernt, hearst?“, fragt er und muss aufgrund der geringen Distanz nicht einmal laut sprechen. In Anbetracht meines arroganten Überholmanövers mit einer fast doppelt so großen Charteryacht, ist sein Protest okay: „Tschuidige, hearst!“ Seine Frage beschert mir aber eine schlaflose Nacht.

1971 durfte ich den Sommer bei einer Familie in Grand Rapids/Michigan verbringen. Dort legte ich den Mast einer Jolle auf die Oberfläche des Reeds Lake und schlug mir einen Schneidezahn aus, weil ich das Worte „Abfallen“ weder auf Deutsch noch auf Englisch kannte. Glücklicher Zufall: Mein Gast-Papa war Zahnarzt. Drei Wochen später warfen sie mir im Boyscout Camp aus reiner Gastfreundschaft den Anfängerschein für segelnde Pfadfinder nach, nachdem ich mit einer Kinderjolle eine Kenterrolle im Lake Michigan überlebt hatte. Was ich dort gelernt hab‘? Dass „Oh my gosh!“ aus dem Mund eines Vietnam-Veteranen sehr apokalyptisch klingt.

1972 wurde ich bei der Schlussregatta des Ferienhorts am Wolfgangsee auf einem Holzkutter Letzter. War aber nicht meine Schuld, sondern die von Hubert Raudaschl: Der berühmte Sohn des Wolfgangsees segelte etwa gleichzeitig in Kiel bei Olympia, was mich als Sportreporter der Zukunft faszinierte. Aus diesem Grund wollte ich mich mit dem vierten Platz nicht abfinden und missachtete ein durchaus entscheidendes Kommando. Dadurch lernte ich vor allem oberösterreichische Schimpfworte: Ochsnschädl, Brunzwurschtl und am schlimmsten: Weana Sauwarzn, obwohl ich Niederösterreicher bin!

1973 organisierte mein Bruder auf dem Neusiedler See eine so genannte Panik-Regatta. Nomen est omen. Dort machte ich erstmals nichts falsch. Der verhaltensauffälligste Freund meines Bruders verwechselte aber die Schotterinsel mit den Fünf Schoppen, wodurch keiner mehr wusste, wo sich die anderen befanden. Handys gab’s nicht. Die Regatta endete bei drei verschiedenen Heurigen. Und wieder hatte ich was gelernt: Man springt während eines schwungvollen Anlegemanövers nicht einfach über Bord! Genau das hatte der nervenschwächste Freund meines Bruders aber getan. Und zwar mit den Worten: „Ich halt‘ diesen Irrsinn nicht länger aus!“ Platsch!

1976: Am Tag nach der Matura stellte ich mich beim ORF-Landesstudio Wien selbstbewusst als Basketball- und Segel-Experte vor, worauf ich von Trabrennen in der Krieau und Freistilringen am Heumarkt berichten durfte. Gelernt? Altwiener Schimpfworte – nicht druckreif.

1980 wanderte ich nach Amerika aus und erspähte vor Rockland/Maine vom Segelboot aus einen Weißen Hai. Gleichzeitig holten Raudaschl, Ferstl und Mayrhofer vor Tallinn olympische Silbermedaillen. Das interessierte in den USA wegen des Olympia-Boykotts genauso wenige Menschen wie mein Weißer Hai. An diesem Tag lernte ich immerhin, dass du nicht überall in Amerika eine Jolle umschmeißen solltest.

1981: Nach meiner Rückkehr begrüßte mich ein Radiokollege mit den Worten: „Willkommen zurück im Haifischbecken.“ Witzig. Aber immerhin durfte ich erstmals Hubert Raudaschl interviewen. Lerneffekt? Naja, einige seiner Weisheiten hab‘ ich mir schon zu Herzen genommen.

1985: Kommt Zeit, kommt Rad. Und zwar Steuerrad: Erster von 81 Törns. Gute Freunde wie Walter („Langsamer, hearst!“), Georg („Schnölla, hearst!“) oder Xandi („Super, hearst!“) als perfekte Lehrer! Später FB3-Schein beim strengen Willi („Greif‘ hin mit deine Wiaschtlfinga, hearst!“), Atlantik-Überquerung auf einem Volvo-Ocean-Boot („Jürgen, not too much action, please!“).

2000 und 2004: Lehrreicher Lokalaugenschein im Goldenen Zeitalter der österreichischen Olympiasegler in Sydney und Athen als Schreiberling. Danach ein paar Erfolge bei Langstrecken-Rennen dank vieler Profi-Tipps. Die Frage „Wo host‘n du Segeln g’lernt, hearst?“ ist also gar nicht so leicht zu beantworten.

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