Mit der Zeit gehen
Sitze bei einer Tasse Earl Grey Orange Pekoe, Schoko-Lebkuchen, „You want it darker“ von Leonard Cohen und dem beeindruckenden Buch „Die Welt im Rücken“, in dem Thomas Melle über seine bipolare Erkrankung schreibt, im wohlig-warmen Wohnzimmer. Kurzum: Adventliche Besinnung.
Plötzlich ein unangenehmes Kratzgeräusch auf der Terrasse. Ich werfe einen Blick hinaus –das Weihnachtsengerl. Allerdings in äußerst ungewöhnlichem Outfit: Es ist von Kopf bis Fuß in bronzene Alufolie gehüllt, zwei seltsam anmutende, etwa zwei Meter lange, dünne Stangen stehen im rechten Winkel von beiden Flügeln ab und zeigen beinahe direkt auf mich. Wortlos runzle ich die Stirn und bitte meinen gefiederten Freund mit einer einladenden Geste ins Haus.
Nach der Versorgung mit Tee und Lebkuchen mache ich sein Erscheinungsbild zum Thema: „Bronzefarben verstehe ich noch einigermaßen, offensichtlich waren ja ein paar aus der Schutzengel-Riege bei den Olympischen Spielen in Rio ordentlich mit uns Österreichern beschäftigt. Aber warum ganz in Folie? Und was bitte sollen die beiden Stangen darstellen?“ „Auftrag von höchster Ebene! Wir sollen Bewährtes und Neues miteinander kombinieren“, lächelt das Engerl verschmitzt und weist mit einem überzeugten „Voila!“ auf die Stangen. Mein verständnisloser Blick fordert weitere Erläuterung. „Du weißt doch, dass unser Chef für’s Segeln was übrig hat. Für uns Engel gilt daher ab sofort Sky-Foiling statt dem altmodischen mit den Flügeln Wacheln.“ Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass das System aerodynamisch ganz schön ausgeklügelt ist. „Anpassbare Form je nach Geschwindigkeit, bei Bedarf auch ganz wegklappbar. Neues Fluggefühl, tolle Moves – echt cool!“ Wir plaudern noch ein wenig und dann verabschiedet sich der Himmelsbote. „Halt noch: Und warum ganz in Folie?“ „Subtext, mein Freund, Subtext. Folie heißt auf Englisch: Foil!“ Mit einem hellen Lachen und den von mir gerne weitergegebenen besten Wünschen an die p.t. Leserschaft für die obligate Handbreit Wasser unter dem Kiel („Und unter dem Foil!“) verabschiedet sich der Himmlische. Nachdenklich bleibe ich zurück: tempora mutantur, nos et mutamur in illis …*
* Lat. für: Die Zeiten ändern sich und wir in ihnen.