Vielfalt in der Entwicklung

Nach dem November-Frühling ist es doch noch vorweihnachtlich kalt geworden und so steht die an Adventabenden obligate Tasse Tee dampfend neben meinem Buch, als sich – halb erhofft, halb befürchtet – schemenhaft die Umrisse des Weihnachtsengerls an der Terrassentür abzeichnen. Schnell öffne ich und bitte meinen gefiederten Freund herein. Schwer keuchend schleppt sich der Himmelsbote mit zwei prall gefüllten Säcken ab und fällt erschöpft auf die Couch. Ich lasse das Engerl ausschnaufen und labe es mit Vanillekipferln, während dessen mustere ich verstohlen die beiden Säcke. Ob da auch was für mich dabei ist? Vielleicht sogar ein ganzer Sack? Sonst hatte es ja immer nur einen dabei …
Das Engerl sieht meine Blicke und lächelt milde. „Nein, nein mein Lieber – das ist für eine seglerische Schwerpunktaktion der Himmlischen gedacht. Und dafür bist du leider nicht mehr in der passenden Altersgruppe.“ Leicht indigniert frage ich mit verständnisloser Miene: „Und um welchen Schwerpunkt handelt es sich?“ Mit einer Mischung aus Stolz und Freude holt das Engerl aus. „Wir Himmlischen hielten auf Anregung des Allerhöchsten eine kleine Konferenz ab. Thema: Hoffnungsvolle Entwicklungen, die wir unterstützen möchten. Heerscharen von Engeln, zuständig für die verschiedensten Länder und Bereiche, haben berichtet, es wurde erwogen und verworfen. Äußerst interessant, kann ich nur sagen.
Ich selbst bin, wie du ja weißt, für den Segelsport in Österreich zuständig. Für mich die hoffnungsvollste Entwicklung des letzten Jahres: Reizvolle Alternativen, die sich jenseits des olympischen Regattierens für den Nachwuchs aufgetan haben. Matchrace, RC44, Class 40, Extreme 40 – das sind aufregende, anspruchsvolle Projekte, in denen sich junge Seglerinnen und Segler zukünftig mehr und mehr engagieren können. Besser vereinbar mit Beruf oder Studium, größeres Zielpublikum, kein elendes Null-Summenspiel durch interne Olympia-Quali innerhalb Österreichs, Herausbildung ganz neuer Arten von Know-How. Alles in allem jedenfalls etwas, das wir Himmlischen fördern wollen.“
Auf dieses Stichwort hin zeige ich neugierig auf die beiden Geschenksäcke. „Und was ist da drin?“ Mein gefiederter Freund öffnet die Säcke und es zeigt sich die gesamte Bandbreite an Nützlichem und Verspieltem für den Hochseesegler: Schwerwetter-Bekleidung, GPS, Strömungskarten, GRIB-Tutorials, Match-Racing-Regeln usw. Rasch verschließt das Engerl – „Dass du mir nicht auf dumme Gedanken kommst!“ – die Säcke wieder, bedankt sich für die Bewirtung und ist schon fast draußen bei der Tür. „Ach ja, an deine p. t. Leserinnen- und Leserschaft noch die besten Wünsche und die obligate Handbreit Wasser unter dem Kiel!“ Sprach’s und war auch schon verschwunden. Kurz hänge ich meinen Gedanken nach, dann wende ich mich wieder meinem Buch zu. Titel, wie passend: Altern in Würde …

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